Vorbote des 3. Weltkriegs? Der Kampf um Armenien (Teil 3 und Schluss)

Ist der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien nur ein regionaler Konflikt in einer ohnehin unruhigen Gegend? Das wäre ein gefährlicher Trugschluss! Im Südkaukasus kollidieren die wirtschaftlichen, machtpolitischen und letztlich auch geostrategischen Interessen einer Vielzahl von Akteuren – ein Pulverfass, dessen Explosion auch in Deutschland zu spüren sein würde. Nach Teil 1 und Teil 2 hier nun der dritte und letzte Teil meiner Serie zum Thema:

Man ist nicht wirklich in Armenien gewesen, wenn man nicht auch Gyumri besucht hat. Die mit 170.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt des Landes liegt im Norden unweit der Grenze zur Türkei an der Eisenbahnlinie nach Tiflis. Mein Freund Ishkhan holt mich recht früh an meinem Hotel in Jerewan ab. Alldieweil die Straßenverhältnisse in Armenien außerhalb der Hauptstadt mitunter katastrophal sind, muss man selbst für verhältnismäßig kurze Strecken viel Zeit veranschlagen. Und so brauchen wir für die 120 Kilometer nach Gyumri einige Stunden. Immerhin hat man mit dem Bau einer Schnellstraße begonnen, was auch dem Güterverkehr von und nach Georgien sehr zuträglich sein dürfte.

Gegen Mittag stehen wir vor der Schwarzen Festung, einem kreisrunden Fort aus der Zarenzeit, das auf einem Hügel westlich der Innenstadt von Gyumri liegt. Zu dessen Füßen erstreckt sich eine weitläufige, mit Mauern und Stacheldraht gesicherte Kasernenanlage. Ich blicke auf die größte Militärbasis der russischen Armee im Südkaukasus. Rund 5.000 Soldaten nebst deren Angehörigen sind hier stationiert. Diese Sehenswürdigkeit verdeutlicht ein Dilemma Armeniens, nämlich die völlige Abhängigkeit von Putins Russland – in sicherheitspolitischer wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht.

Während sich Georgien ostentativ nach Westen orientiert und Aserbaidschan die Nähe zum türkischen Brudervolk sucht – der Herrscher in Baku, Ilham Alijew, spricht gerne von einer Nation in zwei Staaten – ist Moskau nur noch Armenien als Fuß in der Tür jener geopolitisch äußerst bedeutsamen Region geblieben. So nimmt es nicht wunder, dass der russische Bär seine Tatzen weit über die Schwarze Festung hinaus ausstreckt. Der FSB kümmert sich um die Sicherung der an den Eisernen Vorhang gemahnenden Grenze zur Türkei ebenso wie um die Einreisekontrollen am Flughafen Zvartnots. Aber auch große Teile der armenischen Wirtschaft, bis hin zum einzigen Kernkraftwerk des Kaukasus, unweit Jerewans gelegen, werden von Russland am Laufen gehalten. Ohne die schützende Hand des Kreml wäre Armenien nicht überlebensfähig.

Umso erstaunter nahm die Welt zur Kenntnis, dass Wladimir Putin erst nach langem Zögern eingriff, als Aserbaidschan im September 2020 daran ging, mit einem Überraschungsangriff auf die Region Bergkarabach die Kontrolle über seine westlichen Provinzen zurückzugewinnen. Erst im letzten Moment und nach 6.000 Toten auf beiden Seiten ging man in Moskau daran, einen Waffenstillstand zu vermitteln mit dem Ziel eines Friedensvertrages. Russische Friedenstruppen bemühen sich seitdem um Ruhe in der Region, vor allem am Latschin-Korridor, der einzigen Straßenverbindung zwischen dem armenischen Kernland und Stepanakert, der Hauptstadt jener umstrittenen, von den Karabacharmeniern 1994 ausgerufenen Republik Arzach.

Russlands Zurückhaltung hat einen Grund und der heißt Nikol Paschinjan. Der im Zuge einer sogenannten Farbenrevolution an die Macht gelangte armenische Premierminister gilt als westlich orientiert und wird von George Soros’ Open Society Foundation sowie anderen dubiosen NGO’s unterstützt. Folglich ist der Mann für Putin eine wandelnde Provokation. Man macht hinter den goldenen Zwiebeltürmen des Kreml gar keinen Hehl daraus, dass Moskau weit mehr als nur einen kleinen Finger für Armenien rühren würde, säße jemand anders als Paschinjan im Jerewaner Regierungsgebäude.

So war es auch während der jüngsten Angriffe Aserbaidschas diesmal auf armenisches Kernland. Putin ließ Armenien nicht nur deswegen ein Stück weit im Stich, weil er mit der Ukraine genug zu tun hat. Dem Herrscher aller Reußen geht es erneut darum, dafür zu sorgen, dass Paschinjan für die existenzbedrohende Krise seines Landes verantwortlich gemacht und vom Volk endlich hinwegfegt wird, damit ein verlässlicher Gewährsmann Moskaus die Macht übernehmen kann. Der gewiefte alte Fuchs Robert Kotscharjan – von 1998 bis 2008 schon einmal Staatsoberhaupt – steht bereits in den Startlöchern und inszeniert sich geschickt als Salvator patriae, als Retter des Vaterlandes.

Um das zu verhindern eilte Nancy Pelosi nach Armenien. Ihr Besuch in der Krisenregion sollte nicht zuletzt auch Premierminister Paschinjan den Rücken stärken, dessen Land aus der Umklammerung des russischen Bären lösen helfen – freilich nicht uneigennützig. Der Westen hat ein immenses Interesse daran, Armenien unter seine Kontrolle zu bringen. Der geplante Ausbau eines Verkehrskorridors von Europa nach China im Interesse der EU war womöglich ein Motiv für den jüngsten Überfall aserbaidschanischer Truppen. Bei dieser Transportroute handelt es sich um den “Zangezur-Korridor”, der aus Aserbaidschan über armenisches Territorium in Richtung Westen führt. Die Strecke wäre die kürzeste und kostengünstigste Verbindung aus der Türkei zum Kaspischen Meer. Ein so wichtiger Handelsweg darf aus Sicht Brüssels keinesfalls durch einen von Moskau dominierten Staat führen.

Im Zentrum Jerewans findet sich ein Hinweis auf einen entscheidenden Grund für das Engagement der USA im Südkaukasus, nämlich die Blaue Moschee. Der aus dem 18. Jahrhundert stammende Gebäudekomplex im persischen Stil ist eine wahre Oase inmitten des Lärms der Großstadt. Bei meinem ersten Besuch staunte ich nicht schlecht, als ich in einem Seitengelass der einen idyllischen Garten umschließenden Anlage auf eine Büste des iranischen Revolutionsführers Ruhollah Musawi Chomeini stieß. Tatsächlich wurde das zu Sowjetzeiten arg heruntergekommene muslimische Bethaus nach der Unabhängigkeit Armeniens mit Geldern aus Teheran restauriert, so dass die blau gekachelte Kuppel heute wieder im alten Glanz erstrahlt.

Die Islamische Republik ist der zweite Verbündete Armeniens nach der Russischen Föderation, was wiederum den Pragmatismus des Mullah-Regimes verdeutlicht. Der Iran und das älteste christliche Land der Erde teilen eine gemeinsame, rund 50 Kilometer lange Grenze. Die von Täbris her kommende und bei Meghri armenisches Territorium erreichende Handelsroute zwischen beiden Staaten ist völlig überlastet, weswegen an einer modernen Schnellstraße gearbeitet wird. Noch heute spüre ich die unzähligen Schlaglöcher dieser wilden Piste. Teheran umgeht über Armenien viele der westlichen Sanktionen und hat daher bereits angekündigt, territoriale Veränderungen an seiner nördlichen Grenze unter keinen Umständen zu akzeptieren. Würden die südlichen Provinzen Armeniens einer aserbaidschanischen Landnahme zum Opfer fallen, wäre das ein herber Schlag für die Islamische Republik. Der schiitische Iran und das sunnitische Aserbaidschan sind seit jeher verfeindet, was sich Israel indes zunutze macht.

Tel Aviv verfolgt am Kaspischen Meer vor allem zwei Interessen. Einerseits bezieht Israel aus Aserbaidschan einen Großteil seines Erdöl-und Erdgasbedarfs. Zweitens kann es von dort aus vorzüglich gegen den Erzfeind Iran konspirieren. Selbstredend ist der Mossad in Baku ausgesprochen aktiv, trainiert zum Beispiel auch den Geheimdienst des Alijew-Regimes. Ferner liefert man Waffen aller Art, die dann wiederum im Krieg gegen Armenien zum Einsatz kommen. Besonderes Augenmerk haben die israelischen Strategen auf die aserbaidschanische Minderheit im Iran gerichtet. Im Norden der Islamischen Republik leben 15 Millionen Azeris, mehr als in Aserbaidschan selbst. Diese gegen Teheran aufzuwiegeln, mithin einen Bürgerkrieg anzuzetteln, ist ein Kernanliegen von Mossad und CIA, um das Mullah-Regime zu destabilisieren. So ist es auch kein Zufall, wenn ausgerechnet jetzt, da die Revolutionsgarden des Iran in dessen nördlicher Grenzregion aufmarschieren, landesweit politische Unruhen aufflammen.

In diesem Spiel der Mächte sind die knapp 3 Millionen Armenier in ihrem kleinen Land direkt an der Schnittstelle der Interessensphären unterschiedlichster Akteure letztlich nur ein Bauernopfer. Mit dieser Rolle hat jenes geschundene Volk schon einige Erfahrungen gemacht, vor allem während des Ersten Weltkrieges, als mindestens 1,5 Millionen seiner Angehörigen während eines fürchterlichen Genozids ermordet wurden. Einstweilen gehört es zu den an Ironien nicht gerade armen Launen der Geschichte, dass der Fortbestand Armeniens als einer Wiege des Christentums am Ende des Tages von den Mullahs in Teheran abhängen könnte.

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