Sind Parteien nicht die Lösung, sondern das eigentliche Problem?

Ich erinnere mich noch sehr gut an jenes schicksalhafte Jahr 1989 in der DDR, vor allem den Sommer, da es wie die Luft kurz vor einem heftigen Gewitter irgendwie spürbar war, dass bald etwas geschehen würde. Wir waren damals während zweier Juliwochen in Thale im Harz in die Ferien gefahren. Der letzte gemeinsame Familienurlaub unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus im “Haus des Handwerks”, eines dieser typischen Ferienheime in der DDR mit Gemeinschaftsraum und Fernsehzimmer.

Abends saßen alle beisammen und auch ich als 16-jähriger Bursche durfte mich schon an dem einen oder anderen Bier erlaben. Rauchen geschah noch heimlich, wenngleich keineswegs unbemerkt. Wer kennt das nicht? Da ging dann zuweilen die Post ab. Es wurde diskutiert und geschimpft auf den Staat und die Partei und überhaupt auf alles. Berichte gingen um von den Ausreisewellen über Ungarn und Prag. Wir aber saßen zu Füßen der Rosstrappe, redeten uns die Köpfe heiß, wie es wohl weitergehen würde mit der DDR. Irgendwann und irgendwie müssten doch auch bei uns Glasnost und Perestroika einziehen und was käme dann? Fakt ist, dass niemand sich vorzustellen vermochte, was nur wenige Monate später tatsächlich geschah.

Heute nun und vierunddreißig Jahre später sitzt man in der Kneipe (so es nach Corona überhaupt noch welche gibt) und fühlt sich in der Zeit zurückversetzt. Es wird diskutiert und geschimpft auf den Staat und die Parteien und überhaupt auf alles. Wir sitzen bei einem Bier – das inzwischen 5 Euro kostet, also 10 DM, also mindestens 20 DDR-Mark nach offiziellem Kurs – und reden uns die Köpfe heiß wie es wohl weitergehen würde mit Deutschland. Irgendwann und irgendwie müssten doch mal die Dinge kippen, weil es so nicht weitergehen kann. Aber was kommt dann?

Als ab Oktober 1989 die Macht der SED rasant verfiel, gründeten sich in der DDR sukzessive alle möglichen neuen Parteien. Einige waren von Beginn an durch die noch ums Überleben des Systems kämpfende Stasi gesteuert. Andere waren eher kurios zu nennen wie die DBU, die Deutsche Biertrinkerunion. Es folgte die Annexion und somit die Übernahme des Parteienstaates westdeutscher Prägung. Die eben entmachtete Nomenklatura wurde durch eine neue Funktionselite ersetzt, in der die bürgerbewegten Idealisten des Wendeherbstes keine Rolle mehr spielten. Sie hatten die Kastanien aus dem Feuer geholt. Das war genug. Der Mohr hatte, wie es bei Schiller heißt, seine Schuldigkeit getan.

Indes erleben die von Helmut Kohl heimgeholten Ostdeutschen den Niedergang des nächsten einst so hoffnungsfroh begrüßten Systems, werden zunehmend frustrierter und debattieren erneut, was nun wohl kommen wird, kommen sollte, um endlich jenes Glück zu schaffen, das ihnen ehedem versprochen ward aber wenn überhaupt nur von kurzer Dauer gewesen ist. Und wieder werden neue Parteien gegründet wie seinerzeit die AfD und demnächst links wie rechts wohl weitere, von denen man nur ahnen kann, wer im Schatten des Proszeniums an den Kulissen schiebt.

Das “Eherne Gesetz der Oligarchisierung”

Die Frage stellt sich, ob es wirklich etwas ändert, wenn in jeder Phase des Niedergangs versucht wird, mit den immer gleichen Methoden es beim nächsten Mal besser zu machen. Sind Parteien nicht eher das Problem und weniger die Lösung? Seit Robert Michels (1876-1936) sollten wir es besser wissen. Der deutsch-italienische Soziologe und Begründer der modernen Politikwissenschaft formulierte vor rund hundert Jahren die Theorie vom “Ehernen Gesetz der Oligarchisierung”, eines nachgerade unausweichlichen Degenerationsprozesses jedweder politischer Parteiorganisation, den er ausgerechnet an der SPD der Weimarer Republik nachwies.

Neue Parteien mögen laut Michels mit hehren Absichten starten. Nach und nach jedoch übernimmt stets eine Funktionärskaste das Ruder, der es immer weniger um die ursprünglichen Ziele, dafür aber immer mehr um Machterhalt und Pfründe zu tun ist. Parallel dazu verläuft eine schleichende Entdemokratisierung der internen Entscheidungsprozesse mit einer Parteibasis, welche auf die vorrangige Rolle eines Kollektivs von Claqueuren zurückfällt. Das bittere Fazit: Am Ende des Tages wird jede einstmals voller Idealismus gegründete Partei zwangsläufig enttäuschen.

Die Ostdeutschen wurden nach 1989 desillusioniert, da sie geglaubt hatten, alles werde gut und noch viel besser, wenn sie ihr Schicksal in die Hände neuer politischer Akteure legen. Es steht zu befürchten, dass die Deutschen insgesamt fürderhin eine erneute furchtbare Enttäuschung erleben, sollten sie ernsthaft darauf vertrauen, die aktuelle Krise könnte mit Methoden geheilt werden, die all das Elend letztlich hervorgerufen haben, mithin durch einen Parteienstaat, der gar nicht anders kann, als das ihm sich anvertrauende Volk zugrunde zu richten.

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