AfD im Glück oder das Dilemma einer Partei? (Teil 1)

Ist die AfD bereit für die Macht? Sind die Euphorie freiheitsliebender Patrioten einerseits und die Ängste des Establishments andererseits berechtigt? In einer zweiteiligen Serie will der Autor diesen immer drängenderen Fragen nachgehen. Nachfolgend Teil 1:

Über Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), jenen als “Soldatenkönig” in die Geschichte eingegangenen preußischen Monarchen, gibt es eine Vielzahl von Anekdoten. So heißt es, der schwer gichtkranke Vater Friedrichs des Großen sei eines Tages durch Potsdam gefahren, als er bemerkte, wie seine Untertanen vor der Kutsche davonliefen, anstatt ihren Landesherrn zu grüßen. Der leicht erregbare König stieg schließlich aus dem Wagen und humpelte wutentbrannt hinter den Leuten her, bis er einen jüdischen Händler zu fassen bekam. Von dem wollte er wissen, warum er sich verstecke. “Weil ich mich fercht”, war die Antwort. Da hieb der König mit einem Stock auf ihn ein und schrie: “Lieben sollt ihr mich, ihr Kanaillen, lieben!”

Heute gehen den Machthabern in Deutschland ebenfalls immer mehr Bürger von der Fahne, ohne das erstere wirklich begreifen, warum das geschieht. Die regierungstreuen Medien überbieten sich in Analysen und Mutmaßungen, während die etablierte Politik händeringend rätselt, warum das Volk sie nicht liebt, sondern davonläuft und zwar zur AfD.

Einstweilen soll uns hier nicht darum zu tun sein, was die eigentlich ja auf der Hand liegenden Gründe für die erstaunliche Erfolgswelle der Alternative für Deutschland sind – zumindest laut aller relevanten Umfragen, denn die nächsten Wahlen stehen noch aus, da aus demographischen Erhebungen die klingende Münze realer Zustimmung an der Urne wird. Zwar konnte die AfD im thüringischen Sonneberg bereits ein Landratsamt erobern und stellt in einer sachsen-anhaltinischen Kleinstadt indes auch den Bürgermeister, doch interessant wird es freilich erst, wenn der Weg in die erste Staatskanzlei offen ist.

Auf einem blauen “Tsunami” zur Macht?

Das COMPACT-Magazin frohlockt bereits und sieht die AfD allen Ernstes auf einem “blauen Tsunami” Richtung “Machtübernahme” ins Berliner Kanzleramt surfen. Ob diese Metapher wirklich gelungen ist, sei vorderhand einmal dahingestellt. Fakt ist, dass auch die Kartellpresse in immer grelleren Farben die aus ihrer Sicht schaurige Vision eines “Regime Change von rechts” an die Wand malt. Semiprominente Figuren wie Michel Friedman oder Sawsan Chebli entblöden sich sogar nicht, dem Rest der Welt mitzuteilen, sie lebten neuerdings in ständiger Angst und hätten bereits Vorkehrungen getroffen für eine allfällige Flucht aus Deutschland.

Die AfD an der Macht – ist das eine reale Möglichkeit für die nähere Zukunft oder nur der wirre Fiebertraum einer um ihre ungestörte Herrschaftsausübung bangenden Elite?

Unlängst fand in der Güstrower Patriotischen Begegnungsstätte des Vereins Küstenwende – Freiheitliches Forum e.V. eine Veranstaltung zu eben jenem Thema statt. Nach einem Impulsvortrag meinerseits debattierten wir eine ganze Weile über die Frage “Kann die AfD uns retten?” Die Diskutanten schätzten die Lage trotz aller berechtigter Euphorie doch eher nüchtern ein. Und so möchte der Autor dieses Beitrages in die Rolle des Advocatus Diaboli schlüpfen und ein wenig Essig in den süßen Wein des allgemeinen Überschwangs gießen. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Gründen, warum eine Übernahme von Regierungsverantwortung durch die AfD auch bei momentan durchaus günstigen Bedingungen kein Selbstläufer werden dürfte.

Der AfD ist noch zu klein

Rund 28.000 Mitglieder zählt die Partei laut aktueller Angaben und verfügt somit über sehr beschränkte personelle Ressourcen. Sollten sich die derzeitigen Umfragen in realen Wahlergebnissen materialisieren, würde sich der Bedarf der AfD an Mandatsträgern innert kurzer Zeit nahezu verdoppeln. Zum Vergleich: Die österreichische FPÖ verfügt über 60.000 Mitglieder in einem Land mit nur einem Zehntel der Einwohner Deutschlands. Auf reiche Pfründe schielende Glücksritter gibt es freilich zuhauf aber politisch talentiertes, rhetorisch geschultes, mit Fachwissen und Lebenserfahrung gerüstetes Personal für die erste Reihe der Schlachtordnung dürfte auch in der AfD eine eher überschaubare Minderheit darstellen.

Man muss den verantwortlichen Protagonisten vorwerfen, diesen Übelstand schlechterdings vorsätzlich herbeigeführt zu haben. Mag sein, dass es Ausnahmen gibt, aber beispielsweise hier in Mecklenburg-Vorpommern hat man es in all den Jahren sträflich unterlassen, die Mitgliederbasis zu verbreitern, potentielle Nachwuchspolitiker zu fördern, weiterzubilden und die Partei aktiv auf jenen Erfolg vorzubereiten, der sich jetzt allenthalben abzeichnet. Stattdessen nahm eine auf die eigene Machtsicherung fokussierte Führung durch wiederholte Säuberungsaktionen eine Schwächung des ohnedies schon anämischen Landesverbandes in Kauf.

Regierungsverantwortung heißt ja nicht nur, ein paar Minister und Staatssekretäre zu stellen, sondern erfordert vor allem auch eine personelle Durchdringung des Apparates, der Ministerialbürokratie, die andernfalls alle Maßnahmen der neuen Hausherren sabotieren und hintertreiben würde. Die dafür erforderlichen Leute müssen loyal, fachlich kompetent und hartgesotten sein. Woher sollen sie plötzlich kommen? Mit einer Art Parteischule, wie derlei in früheren Zeiten noch üblich war, hätte die AfD in den zurückliegenden Jahren erfolgreich Abhilfe schaffen und sich auf die Stunde einer sich real bietenden Machtoption einstellen können.

Der AfD fehlt ein adäquates politisches Vorfeld

Die explodierenden Umfragewerte der AfD sind erfreulich und vielversprechend. Gleichwohl erinnert diese Entwicklung an das Bild eines Baumes, der dank ungewöhnlich günstiger klimatischer Bedingungen in Rekordzeit in die Höhe schießt, aber zuvor kein ausreichendes Wurzelwerk entwickelt hat, um den Überbau verlässlich tragen zu können.

Wie man es richtig macht, lernen wir tatsächlich bei den Linken. Dort hat man über die Jahrzehnte – ganz im Sinne praktisch orientierter Vordenker wie Antonio Gramsci (1891-1937) und Saul Alinsky (1909-1972) – ein regelrechtes Universum an Vereinen, Projekten, Stiftungen, Denkfabriken sowie Unternehmungen politischer wie kultureller Art geschaffen, um das gesellschaftliche Leben so umfassend wie möglich durchdringen zu können. Mit dieser sogenannten “Gemeinwohlarbeit” einer omnipräsenten Graswurzelbewegung sichern sich linke Parteien nicht nur hierzulande ihren Einfluss auf die Menschen unabhängig von den jeweiligen Wahlergebnissen und der Frage, ob man gerade regiert oder sich in der Opposition befindet.

Die AfD kann auf nichts Vergleichbares zurückgreifen. Sie existiert de facto nur als reine Parlamentspartei, findet zumindest in Mecklenburg-Vorpommern abseits des Landtages kaum statt. Kulturelles Leben, Musik, Theater, Literatur als Boten eines sich ankündigenden “Great Reset” unter freiheitlich-patriotischem Vorzeichen sucht man leider vergeblich. Dabei weiß jeder, der sich einmal mit den Grundlagen des politischen Marketings beschäftig hat, dass man Politik eben nicht nur als dröge Programmatik, sondern auch emotional als positives Lebensgefühl verkaufen muss.

Natürlich hat die linke “Zivilgesellschaft” vermittels staatlicher Förderung einen Zugang zu beinahe unbegrenzten finanziellen Mitteln. Patriotische Projekte wie die Begegnungsstätte in Güstrow können davon nur träumen. Und doch verfügen die AfD selbst und ihre zahlreichen Mandatsträger über genug Ressourcen, um an dieser Stelle wichtige Hilfe zu leisten. Vielleicht sollten sich die künftigen EU-Parlamentarier der AfD ein Beispiel an der designierten Linken-Kandidatin Carola Rackete nehmen, die nach eigener Aussage auch deswegen nach Brüssel will, um ihre Bewegung hernach materiell besser unterstützen zu können.

(Ende Teil 1)

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