Wenigstens konnten wir uns auf das Ergebnis der gestrigen Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern langfristig vorbereiten. Wir mussten nicht wie Gregor Samsa in Kafkas “Verwandlung” morgens aufwachen und feststellen, dass sich über Nacht schier unfassbare Dinge ereignet haben, in unserem Fall beinahe 40 Prozent für die SPD. Schon seit Wochen weissagten die Auguren diverser Meinungsforschungsinstitute derlei voraus. Auch ein mehr oder weniger tiefer Sturz der CDU wurde prognostiziert, ferner Verluste seitens der AfD sowie eine obschon knappe Bezwingung der Fünf-Prozent-Hürde durch FDP und Grüne.
Bevor wir zur AfD kommen, noch ein paar Worte zu den Blockparteien. Die SPD fuhr ihr bewährtes Konzept. Wie bereits ihr politischer Ziehvater Erwin Sellering inszenierte sich auch Manuela Schwesig als über den Niederungen des Parteiengezänks schwebende fürsorgliche Landesmutter und weniger als Repräsentantin der Sozialdemokratie. Dementsprechend lautete eine der Wahlkampfparolen auch “Wer Schwesig will, muss SPD wählen”, als sei letztere eine Art saurer Apfel, in den beißen muss, wer die schöne Königin auf dem Thron sehe möchte.
Überdies muss man konstatieren, dass die SPD zumindest im Schweriner Landtag bis anhin einen vergleichsweise realpolitischen und unideologischen Kurs verfolgt hat. Ostentativ linksradikale bis offen kommunistische Positionen, wie sie von Kevin Kühnert oder Saskia Esken auf Bundesebene vertreten werden, sucht man bei den Sozen im Nordosten vergeblich. Schon Erwin Sellering profitierte von der Einführung des “Russlandtages”, einer jährlichen Zusammenkunft von Wirtschaftsvertretern sowie Politikern aus Mecklenburg-Vorpommern und der Russischen Föderation. Schwesigs Festhalten an dieser Institution und vor allem ihre eiserne Verteidigung des Baus der im Rest Europas sowie in den USA umstrittenen Gaspipeline Nordstream 2 haben zweifellos viele Bürger beeindruckt. Als sie sich dann noch mit der Regierung in Washington anlegte, dürfte das ihrer Popularität ebenfalls durchaus zuträglich gewesen sein.
Letztlich ist die SPD hierzulande schon seit bald einem Vierteljahrhundert Regierungspartei mit wechselnden Koalitionspartnern, zunächst unter dem noch heute bei vielen Bürgern in sehr guter Erinnerung befindlichen Harald Ringstorff, dann der stets joviale Erwin Sellering und schließlich Manuela Schwesig. Das schafft eine tiefe Verwurzelung im vorpolitischen Raum. Nicht umsonst haben Kandidaten der SPD fast sämtliche Direktmandate errungen, während CDU und AfD nur jeweils einen Wahlkreis über die Erststimmen zu holen vermochten.
Der buchstäbliche Schiffbruch der CDU ist ebenfalls kaum verwunderlich. Im Schweriner Schloss wurde mit Verve der desaströse Kurs der Selbstkastration umgesetzt, den Angela Merkel aus Berlin vorgab. Personell hat sich die Partei nie erholt von der mysteriösen Demission ihres früheren Landes- und Fraktionsvorsitzenden Vincent Kokert im März 2020. Der junge, gutaussehende und vor allem äußerst eloquente Neustrelitzer hätte durchaus Chancen gehabt, der erste CDU-Ministerpräsident in Mecklenburg-Vorpommern seit 1998 zu werden.
Als ob dieser Verlust nicht schon schlimm genug war, nahmen die sogenannten Christdemokraten auch noch die Demontage ihres Urgesteins Lorenz Caffier durch linke Medien und Vorfeldorganisationen klaglos hin. Der knorrige Innenminister war zwar für das äußerst umstrittene aber von der AfD seltsamerweise widerspruchlos mitgetragene Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG MV) verantwortlich, konnte sich aber dennoch stets als Beweis dafür verkaufen, dass die CDU im Nordosten tatsächlich noch über einen konservativ-patriotischen Restbestand verfügt.
Übrig blieben gesichtslose und darüber hinaus auch noch irgendwie lächerlich wirkende Figuren wie Torsten Renz und Wolfgang Waldmüller. Letzterer hätte sich, wäre er schlau gewesen und weil aus München stammend, durchaus glaubhaft als eine Art Ein-Mann-CSU im Landtag inszenieren können. Ergänzt wurde dieses Duo durch schmierige Nachwuchskader, die, ohne jemals einer wertschöpfenden Tätigkeit nachgegangen zu sein, aus dem Hörsaal direkt in den Plenarsaal gerutscht sind. Gipfel der Selbstverleugnung war freilich die Unterstützung einer bekennenden Linksextremistin und Verfassungsfeindin namens Barbara Borchardt bei deren Wahl zur Richterin am Landesverfassungsgericht. Diese Aktion machte europaweit Schlagzeilen und kostete die ehemalige Partei Konrad Adenauers den letzten Rest politischer Glaubwürdigkeit. Was die CDU geritten hat, zu allem Überfluss auch noch einen namenlosen Landrat aus Vorpommern zu ihrem Spitzenkandidaten zu küren, bleibt einstweilen ihr Geheimnis.
Die AfD-Spitze um Leif-Erik Holm und Nikolaus Kramer sei sehr zufrieden mit dem Wahlergebnis von 16,7 Prozent, liest man allenthalben. Das ist ein Verlust von 4,1 Prozent im Vergleich zu 2016. Ferner blieb von drei Direktmandaten indes nur eines übrig. Die AfD kommt im nächsten Landtag also auf 14 Sitze. Soweit die Fakten. Nun wird kein aufrechter Patriot, insofern er nicht weniger anstrebt als die Rettung unseres Vaterlandes vor dem endgültigen Niedergang, sich der Einschätzung der blauen Spitzenkandidaten anschließen wollen, grosso modo seien diese 16,7 Prozent doch toll und Ausdruck einer stabilen Stammwählerschaft. Von dem Anspruch, dieses Mal stärkste Kraft werden zu wollen, ist die AfD meilenweit entfernt. Die Einlassung, man habe ohnehin nur wieder stärkste Oppositionsfraktion werden wollen, wirkt an der Stelle ausgesprochen peinlich, zeigt aber, wie sehr die Großkopferten dieser Partei die Angewohnheit ihrer Gegner verinnerlicht haben, selbst ein offenkundig schlechtes Resultat als von vornherein genau so geplanten Erfolg darzustellen. Ich selbst bin der festen Überzeugung, dass die AfD in Mecklenburg-Vorpommern ein ähnlich hervorragendes Ergebnis hätte erzielen können wie in Sachsen oder Thüringen.
Woran also hat es gelegen? Es heißt ja gerne, der Fisch stinke vom Kopfe her. Ich finde diese Metapher irreführend, denn in einer halbwegs demokratischen Partei ist die Qualität des Kopfes ja kein unabwendbares Schicksal. Die Führung wird von der Basis gewählt, welcher daher nolens volens immer auch eine Mitverantwortung zufällt. Ferner wollen wir uns nicht in Larmoyanz darüber verlieren, wie schwer es die AfD doch hat mit weit überwiegend feindlich gesinnten Medien und einem linksgrünen Zeitgeist. Wer nicht willens ist, die Verantwortung für das äußerst mäßige Wahlergebnis der AfD bei eben jener zu sehen, verhindert notwendige Einsichten sowie daraus folgende positive Veränderungen und schadet der freiheitlich-patriotischen Sache am Ende des Tages.
Die AfD in Mecklenburg-Vorpommern verfügte zu keinem Zeitpunkt über ein kohärentes Konzept für eine innovative und zündende Kampagne. Stattdessen machten vielerorts Direktkandidaten in Eigenregie jeder für sich durchaus hochmotivierten aber unkoordinierten und – das gehört zur Wahrheit dazu – unprofessionellen Wahlkampf. Letzteres muss man aber definitiv der Parteiführung um Leif-Erik Holm anlasten, die es versäumt hatte, die Kandidaten rechtzeitig zu schulen. Wie mir Betroffene mitteilten, verlief die Unterstützung des Wahlkampfes vor Ort zuweilen desaströs. Freilich kann man dergestalt verfahren, wenn man a priori die Stimmen der Stammwählerschaft zwecks Sicherung von Posten und Pfründen für ausreichend hält. Deutschland rettet man so nicht.
Darüber hinaus fehlte der AfD ein großes Generalthema, um über die Stammwähler hinaus zu mobilisieren. Es war einfach nicht zu spüren, dass diese Wahlen keineswegs in einem stabilen Land ohne größere Herausforderungen stattfanden, sondern es vielmehr darum ging, ob wir eine rotgrüne Hygiene- und Klimadiktatur noch irgendwie würden verhindern können oder nicht. Ob Deutschland demnächst ein von Krisen und Chaos geschütteltes Schwellenland sein wird oder nicht. Stattdessen erzählte uns der Spitzenkandidat für die Landtagswahl in der Presse, dass er sich ein “Machomodell” der Motorradmarke Harley Davidson gekauft habe und Frauen für die Politik schlichtweg zu emotional und daher ungeeignet seien.
Nicht unterschlagen werden darf überdies, dass vor gut einem Jahr der AfD-Kreisverband in Rostock – immerhin die größte Stadt des Bundeslandes und Heimat von rund 13 Prozent der Wähler – im Zuge diverser Machtkämpfe mit Parteichef Holm buchstäblich vom Landesvorstand zerschlagen wurde und sich seitdem keine neuen Strukturen etablieren konnten. Folglich ist die AfD in Rostock quasi nicht mehr existent. Der Widerwillen der Spitzenleute um den ehemaligen Radiomoderator gegen die Hansestädter ist dermaßen groß, dass sich weder Holm noch Kramer noch irgendwelche Bundesprominenz während des Wahlkampfes an der Warnow sehen ließen. Auch so rettet man Deutschland nicht.
Die AfD wird ferner debattieren müssen, warum der Plan der Parteispitze nicht aufgegangen ist, welcher darauf abzielte, man müsse sich nur als gemäßigt bürgerliche Kraft der Mitte präsentieren und schon würden unzufriedene Anhänger von CDU und FDP in Scharen zur AfD überlaufen. Das ist nicht geschehen. Im Gegenteil! Die blaue Alternative hat nicht im Geringsten vom Absturz der CDU profitieren können. Liegt es vielleicht daran, dass jenes ominöse Bürgertum, von dem immer wieder gesprochen wird, in Wirklichkeit eine bloße Schimäre ist und man sich deswegen besser um die Nichtwähler kümmern sollte? Diese hat die AfD nicht mobilisieren können, trotz der hohen Wahlbeteiligung. Falsche Prioritäten also?
Schließlich bleibt, erneut darauf hinzuweisen, dass die AfD in Mecklenburg-Vorpommern es in all den Jahren sträflich versäumt hat, in den vorpolitischen Raum auszugreifen und entsprechende Projekte aufzugleisen. Trotz enormer Ressourcen, die fürderhin deutlich magerer ausfallen dürften, hat sich die Partei allein auf die Parlamentsarbeit eingeengt und will offenkundig bis heute nicht wahrhaben, wie wichtig Metapolitik, mithin die Graswurzelarbeit an den Bürgern und somit langfristig die Mobilisierung der Straße ist. In Verbindung mit intellektueller Blutarmut, ergo dem frappierenden Mangel an neuen und im besten Sinne revolutionären Ideen, führt all das zu einer allenfalls durchschnittlichen Performance ohne jede Chance, jemals dieses Land wirkungsvoll zu verändern.
Hier muss die AfD zügig nacharbeiten, so sie denn mehr sein will als eine Arbeitsbeschaffungs- und Einkommenssicherungsmaßnahme für genau solches Personal, wie man es bei den Blockparteien seit jeher kritisiert hat. Die Zusammensetzung der Landtagsfraktion lässt Böses ahnen, gerade auch weil Persönlichkeiten und Gesichter in der Politik wichtiger sind, als viele AfD-Protagonisten noch immer glauben. Ein solches Zugpferd mit Mobilisierungspotential könnte der einzige direkt gewählte Abgeordnete der blauen Alternative im Schweriner Parlament dereinst werden. Ein junger, attraktiver, eloquenter und obendrein körperlich wie geistig fitter Politiker mit Familie und vorzüglichem Berufshintergrund wäre möglichweise der von nicht wenigen Mitgliedern der Partei herbeigesehnte Hoffnungsträger. Die Zeit wird es weisen. Einstweilen erinnern wir uns an die Worte Hölderlins: “Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.”
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4 Kommentare zu „Die Landtagswahl in MV 2021 – Eine Analyse der Resultate“
Brilliante Analyse, mit Geld nicht aufzuwiegen! Aber in der Praxis ist sie wohl keinen ” Pfifferling”,
wert, da die Hybris auch beim Bodenpersonal, so dermaßen tief verwurzelt ist, so daß die Einsicht, wohl erst mit dem noch tieferen Fall, in der nächsten Legislatur- Periode,erfolgen wird!
Aber dann ist es definitiv zu spät!
Ich hoffe ja, dass es nicht nur Perlen vor die Säue sind, sondern den einen oder anderen Mitstreiter vielleicht zum Nachdenken anregt oder eine Debatte auslöst. Leider habe ich den Verdacht, dass es den Großkopferten der AfD in MV, jener Schicht aus Berufsfunktionären, primär vor allem um die eigene Karriere- und ergo Existenzsicherung geht.
die AFD in MV sollte sich umbenennen in HIP, Holmidiotenpartei. dann wiisen alle Bürger in MV, was sie da wählen!
Super Holger! Treffend wie immer…