Vielerorts herrschen Ernüchterung und Ratlosigkeit im freiheitlich-patriotischen Milieu. Egal, ob in Chatgruppen oder auf Stammtischen, allenthalben wird immer unverhohlener die Frage diskutiert, ob die AfD in ihrer derzeitigen Form tatsächlich noch in der Lage ist, jene historische Aufgabe, die Hoffnungen zu erfüllen, welche einst von Millionen Deutschen mit ihr verbunden wurden.
Häufig fragen mich Bürger, ob ich das Projekt AfD für gescheitert halte. Man muss sich an dieser Stelle in der Tat vergegenwärtigen, dass die Partei es nicht schafft, aus der aktuellen Situation in Deutschland ihren Honig zu saugen. Seit Monaten folgt auf ein Regierungs- und Staatsversagen das nächste (Coronachaos, Hochwasserkatastrophe, Afghanistandesaster), doch die AfD war und ist nicht in der Lage, diese Steilvorlagen für sich zu nutzen, dümpelt wie eh und je bei 10 Prozent herum.
Zur frappierenden Konzeptions- und Ideenlosigkeit der Verantwortlichen innerhalb der selbsternannten Alternative gesellt sich schlechterdings ein chaotisches Reaktionsverhalten auf für die Partei potentiell hilfreiche Ereignisse wie eben in Afghanistan. Doch statt geschlossen die für alle Welt so offenkundig schlechteste deutsche Regierung seit 1945 anzugreifen, reiht sich der Bundesvorstand ein in die Phalanx jener, welche die Aufnahme einer vorderhand unbekannten Zahl sogenannter Ortskräfte befürworten. Derweil plakatiert man in Berlin in türkischer Sprache und anerkennt somit die kulturidentitären Machtverhältnisse in der eigenen Hauptstadt.
Weiter nördlich, in Mecklenburg-Vorpommern ist die AfD bereits in ein nicht mehr zu leugnendes Stadium der Selbstauflösung übergegangen. In Rostock, immerhin die größte Stadt des Bundeslandes, sucht man arbeitsfähige Strukuren vergeblich, findet ein ernstzunehmender Wahlkampf kaum noch statt. Ähnlich desolat sieht es in anderen Regionen aus. Der Landesverband ist tief gespalten in jene, die von den Funktions- und Mandatsträgern in irgendeiner Weise materiell zu profitieren hoffen einerseits sowie keineswegs unbedeutende Teile der Basis, welche sich ins Abseits gedrängt und bei maßgebenden Entscheidungen ignoriert sehen andererseits.
Wenn mir also selbst Landtagskandidaten sagen, sie könnten es nicht über sich bringen, für die AfD Wahlkampf zu machen, weil das hieße, die Bürger zu belügen, scheint die Frage, nach der Zukunft dieser Partei keineswegs unangebracht, obschon durchaus schmerzlich.
Allen besorgten Bürgern sei gesagt: Das Problem liegt weder bei der AfD noch ihrer Führung oder einzelnen Akteuren. Selbst wenn sich die kaum zu übersehende Hoffnung vieler Mitglieder erfüllen sollte und Jörg Meuthen im Herbst demissioniert, wird das nichts ändern an dem, was als Ursache aller Übelstände nicht nur der AfD, sondern des ganzen Landes zu betrachten ist. Was wir derzeit erleben, ist ja nicht die Krise einer Regierung, es ist eine Krise des nach 1945 installierten Parteienstaates, mithin des herrschenden politischen Systems selbst. Und die AfD ist nunmal eine Partei, widerspiegelt also ihrerseits die Misere ebenso wie alle anderen Parteien auch. Wenn nun aber die Parteien das Problem darstellen, kann eine Partei niemals dessen Lösung sein. Man muss das System insgesamt infrage stellen, also gründlich reformieren.
Das Thema ist zugegebenermaßen äußerst komplex. Man könnte Bücher darüber schreiben. Versuchen wir uns an einer angemessenen Zusammenfassung. Seit Robert Michels wissen wir, dass alle Organisationen einem unvermeidlichen Prozess der Oligarchisierung unterliegen (Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie – Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Klinkhardt, Leipzig 1911). Nach Michels bilden größere Menschengruppen aus Effizienzgründen immer eine bürokratische Organisation heraus, was über kurz oder lang zur Herausbildung einer Machtelite führt. Die daraus folgende Oligarchisierung mündet dann in einer Korrumpierung dieser Machtelite. So bedeutet die Etablierung einer Parteiorganisation also zwangsläufig den sukzessiven Verlust der innerparteilichen Demokratie sowie der Gruppendynamik infolge der für bürokratische Apparate charakteristischen Trägheit. Weil die Organisation und die auf ihr beruhende Macht am Ende nur noch Selbstzweck sind, führt dieser Prozess zu einer inneren Spaltung sowie zur Entfremdung der Parteielite von den Mitgliedern.
Dieses von Robert Michels vor etwas mehr als 100 Jahren (seinerzeit anhand der SPD) nachgewiesene Gesetz der Oligarchisierung wirkt unterschiedslos in jeder politischen Partei und somit auch in der AfD. Selbst wenn unzufriedene Mitglieder letzterer eine neue Partei gründen würden und jene dann Erfolg und Wachstum aufzuweisen hätte, käme es unvermeidbar zu einer solchen Deformierung mitsamt dem Verfall der organisationsinternen Demokratie. Damit könnte man sogar noch leben, wenn diese Oligarchisierung nicht auf den Staat übergreifen würde. Genau das ist passiert. Mithilfe des Grundgesetzartikels, wonach “die Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes” mitzuwirken hätten und des Verhältniswahlrechts “haben sich die Parteien den Staat zur Beute gemacht” (Richard von Weizsäcker).
Erfreulicherweise wächst die Erkenntnis, dass sich der Parteienstaat – von den Gründungsfiguren der westdeutschen Bundesrepublik mutmaßlich so konzipiert, um ein zweites Weimar zu verhindern – in einen Fluch verwandelt hat. So schrieb der deutsch-österreichische Publizist und Politikberater Fritz Goergen unlängst in Tichys Einblick den so wahren wie bemerkenswerten Satz: “Soll die Republik und sollen Freiheit und Recht aus dem Turm von Babel namens Parteienstaat befreit werden, muss diesem das Fundament entzogen werden: die gesetzliche Privilegierung der politischen Partei in all ihrer abenteuerlichen Ausuferung.”
Freilich kann man von einer Partei, auch von der AfD, nur schwerlich erwarten, dass sie diese Forderung ernsthaft umsetzt. Sie ist nämlich, ob sie will oder nicht, Teil des Systems und ergo an dessen Erhalt interessiert, stützt es somit durch ihre bloße Existenz und zwar nicht weil sie oder ihre Protagonisten böse sind, sondern weil es in der Natur der Sache liegt. Mein provokantes Fazit: Vermittels einer Parteigründung, seien die Ziele und Absichten auch noch so edelmütig, wird man in diesem Lande niemals grundlegende Veränderungen herbeiführen. Dafür spricht, dass auch die AfD in all den Jahren ihrer parlamentarischen Tätigkeit im Bundestag oder in irgendeinem Landtag noch nie die Axt an die tatsächlichen Wurzeln des Übels gelegt hat.
Mein Petitum bleibt daher die Abschaffung des unsäglichen Verhältniswahlrechts, vermittels dessen die Parteien über intern ausgekungelte Kandidatenlisten ihre Söldner in den Parlamenten platzieren können. Stattdessen muss das Mehrheitswahlrecht eingeführt werden, also ein direkt vom Volk gewählter Abgeordneter pro Wahlkreis, der diesen im jeweiligen Parlament vertritt, sein Mandat also nicht der Loyalität zu einer Partei und deren Funktionären verdankt, sondern den Stimmen der Bürger seines Verantwortungsbereiches. Ferner dürfen Volksvertreter für ihre Tätigkeit nicht mehr so üppig bezahlt werden, sollten stattdessen nur noch eine angemessene Entschädigung für einen allfälligen Verdienstausfall im Hauptberuf erhalten. Als Machtbegrenzung sind überdies zwei Amtsperioden notwendig und zwar für Regierungsmitglieder wie Abgeordnete. Eine weitere notwendige Forderung muss die Abschaffung der staatlichen Parteienfinanzierung sein. Natürlich ist das kein Allheilmittel gegen politische Entartungen, kann aber zahlreichen Fehlentwicklungen a priori einen Riegel vorschieben.
Einstweilen anempfehle ich jenen, die sich zwar politisch einbringen möchten, gleichwohl aber die Parteiarbeit als Irrweg erkannt haben, das Engagement in ihrer jeweiligen Kommune, an den Graswurzeln unserer Gesellschaft. Lockere, flach strukturierte freiheitlich-patriotische Wählerinitiativen können in Gemeinderäten, Stadtvertretungen und Kreistagen die regionale Politik aufmischen, wertvolle Aufklärungsarbeit am Bürger vor Ort leisten und an der Entstehung einer alternativen Zivilgesellschaft mitwirken. Auf diese Weise können viele kleine aber schlagkräftige, gut vernetzte und vom Staat viel schwerer zu überwachende, unterwandernde und unterdrückende Gruppen die Gesellschaft von unten her durchdringen und verändern. Die Linken haben das schon vor geraumer Zeit, mindestens seit Antonio Gramsci, erkannt und sind leider sehr erfolgreich mit eben jener Strategie, was freilich auch zeigt, dass sie funktioniert.
(Bild: Der gesetzgebende Bauch von Honoré Daumier)
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3 Kommentare zu „Parteien sind nicht die Lösung, sie sind das Problem!“
Es sind nicht die Parteien, es sind die Menschen in den Parteien.
Wir haben eine kranke Gesellschaft,
Jeder gegen Jeden. Das ist leider sehr schade.
Holger, nicht die Parteien sind das Problem, wenn ihre Kandidaten und Mitlglieder Lischen Müller und Karlo Ohnesorg ihr jeweiliges politisches Programm klarmachen und auch realisieren können!
Und in unserer Mehr-Parteien-Demokratie tatsächlich nach pers. Wahl und Beauftragung als Volks-Verträter für uns alle stellvertretend die “Demokratie” (Volksherrschaft) vollziehen!
Das Dilemma von Wahlen (nicht nur in D) ist, dass berechtigte Wähler(innen) ein in Schule und Elternhaus unzureichend vermitteltes “Staatsbürgerliches Bewußtsein” haben. So gelingt es einigen Genossen-Parteien die Naiven mit leeren, unhaltbaren Plakat-Sprüchen zu gewinnen. Und die Linken und Grünen rufen sogar verantwortungslos nach dem Stimmrecht für 16.Jährige, obwohl denen in “Gemeinschaftskunde” bis dato nur unsere “bunte” Zuwanderungsgesellschaft im dichtbesiedelsten Staat der EU mit allen “Vorzügen” vermittelt wurde. Ohne politisches Interesse dreht sich bei dieser Altersgruppe biologisch bekanntlich alles vorrangig um guten Sex und Pizza- Döner- und Börger-Sattessen, etc.!
Da ich niemandem als Demokrat sage, was er/sie wählen sollte,
verkünde ich aber allerorten: “Geht auf jeden Fall zur Bu-Wahl am 26, September 2021! Weil ihr -wie ich auch- wahrscheinlich nicht euer Ideal wählen könnt, wählt wenigstens das kleinste Übel!
Ansonsten könntet ihr das Größte ungewollt bekommen!!
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt (Jg. 1945, DDR-Ostseelfüchtling 1966), Rostock
Hallo Holger, ergänzend zu deinem Artikel fordere ich offene Wahlen im Bundestag mit einer Veröffentlichungspflicht in den Medien.
Außerdem kann man die Enthaltung hierbei auch gleich entsorgen. Es sollte lediglich ein klares „Ja“, oder „Nein“ geben.
So die Theorie.
Letztendlich scheitert dieses Gedankenspiel am Desinteresse der Bevölkerung. 1% wirkt in der Politik mit und der Rest lässt es mit sich geschehen. Meinte Guido das damals mit der spät-römischen Dekadenz?
Gruß
Sven