Blick nach Osten – Wie Deutschland seine Zukunft verspielt

Letzte Woche meldete die Presse, der Hauptgeschäftsführer der IHK zu Schwerin sei schwer beeindruckt aus Estland zurückgekehrt. Dort habe der Wirtschaftsfunktionär erfahren, dass in der baltischen Republik 99 Prozent der Verwaltungsvorgänge digital abgewickelt werden können. Rund 3.000 Dienstleistungen umfasst das Online-Angebot. Lediglich zum Heiraten müssten die Esten noch persönlich aufs Amt.

In Mecklenburg-Vorpommern, dass im Hinblick auf Fläche und Einwohnerzahl mehr oder weniger Estland entspricht, sind es gerade einmal 100 Verwaltungsleistungen, die der Bürger online abwickeln kann. Das durfte ich unlängst selbst erleben, beim Versuch, unter Coronabedingungen einen Anwohnerparkausweis zu beantragen. Nach wochenlangem Hin und Her kam das Ding endlich mit der Post.

In Osteuropa trennte man sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sehr zügig von unprofitablen und nicht mehr zeitgemäßen Industriezweigen. Hierzulande jedoch hält man bis heute unbeirrt am Großschiffbau fest, verpulvert hunderte Millionen Euro für gleich drei Werften, obwohl klar ist, dass die auf dem Weltmarkt keine Chance haben. In Schwerin diskutieren linke Politiker indes allen Ernstes, ob der Staat nicht selbst Kreuzfahrtschiffe in Auftrag geben sollte, um ein paar hundert Arbeitsplätze für ein paar weitere Jahre zu retten.

Estland hat sich mit derlei nicht aufgehalten, stattdessen von Beginn an konsequent auf Digitalisierung gesetzt. Heute ist die kleine Republik am Finnischen Meerbusen das am weitesten digitalisierte Land der Welt. Das Recht auf Internetzugang hat als Grundrecht sogar Verfassungsrang. Polen erklärte bereits vor Jahrzehnten die Gaming-Industrie, also die Entwicklung von Computer-und Videospielen, zur Schlüsselindustrie. Das war weitsichtig, denn die Gaming-Branche ist inzwischen größer als die globale Film-und Musikproduktion. Polen hat also auf das richtige Pferd gesetzt und spielt auf dem Weltmarkt seit einiger Zeit ganz vorne mit.

Ich bin nie in Tallinn, ohne dann nicht auch meine Stammkneipe in der Altstadt zu besuchen. Während der Sowjetunion war die kleine Bar ein Dissidententreff. Heute sitzt man dort am Tresen schon mal neben einem Parlamentsabgeordneten oder Minister. Die meisten Regierungsmitglieder hatten übrigens eine Karriere in der Wirtschaft hinter sich, bevor sie in die Politik wechselten. In der Bundesrepublik kann das Volk indes schon froh sein, wenn seine politischen Anführer einen Berufsabschluss haben.

Deutsche werden im früheren Reval von den Einheimischen in der Regel schnell erkannt, weil sie eisern mit Bargeld zahlen, während der Este für jeden Schnaps die Kreditkarte über den Zapfhahn reicht. Ich persönlich beobachte das sukzessive Verschwinden des Bargelds in Estland und anderswo durchaus mit Unbehagen. Freilich ist die Digitalisierung nur dann gefährlich, wenn sie auf ein Volk trifft, dass so obrigkeitshörig und autoritätsgläubig ist wie die Deutschen. Die Balten aber sind viel zu freiheitsliebend und patriotisch, als sich nach Jahrzehnten der Unterdrückung erneut einer totalitären Herrschaft auszuliefern.

In Estland kann man auch deswegen nachgerade sämtliche Verwaltungsprozesse online abwickeln, weil selbst das einsamste Dorf an den Gestaden des Peipussees über einen vorzüglichen Internetzugang verfügt. In Mecklenburg-Vorpommern bricht das Netz zusammen, sobald man mit dem Zug die Rostocker Stadtgrenze hinter sich gelassen hat. Dann gilt es zu warten bis Güstrow oder Waren und hoffen, dass der IC dort lange genug hält. Auf freier Strecke heißt es wieder: Kein Netz.

Die Bundesrepublik verliert allenthalben den Anschluss, entwickelt sich mehr und mehr zu einem Schwellenland zurück. Derweil hat die polnische Regierung angekündigt, den westlichen Nachbarn – die meinen uns – bis 2040 wirtschaftlich überholen zu wollen. Solange wird das nicht dauern. Mind my words. Und Estland plant unterdessen einen Tunnel zwischen Tallinn und Helsinki, will beide Hauptstädte unter der Ostsee hindurch zu einer Metropolregion verschmelzen. Ach ja: Berlin nimmt den Neubau eines Regierungsterminals auf dem ehemaligen Flughafen Schönefeld in Angriff. Das ist ja auch schon mal was. Die Fertigstellung ist für 2035 avisiert. Kein Witz!

Kommen wir zur zweiten Pressemeldung, die mich fortan nicht wieder losgelassen hat. Die Rostocker Kommunalpolitik hat beschlossen, den Oberbürgermeister zu beauftragen, gemeinsam mit der Landesregierung in der Hansestadt eine zentrale Anlaufstelle für transsexuelle Menschen aus ganz Mecklenburg-Vorpommern einzurichten. Eva-Maria Kröger von der Linkspartei: „Es ist höchste Zeit, dass wir handeln.“ Es gehe schließlich auch um Qualifizierung und Qualitätssicherung. Angeblich leben im Nordosten nicht weniger als 27.000 „Transmenschen“ und die Dunkelziffer soll natürlich noch sehr viel höher sein. Da gibt es reichlich zu tun. Drum freut sich Kröger ganz unbändig darüber, „dass es so viel Begeisterung in der Politik für solch ein Vorhaben gibt“.

Frage an den Sender Jerewan: Kann es sein, dass diese beiden Meldungen irgendwie miteinander zusammenhängen? Kann es sein, dass Polen uns wirtschaftlich sehr bald überholen wird, weil dort niemand auf die Idee kommt, zentrale Anlaufstellen für „Transmenschen“ zu eröffnen? Kann es sein, dass in Estland 99 Prozent der Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert sind, weil man sich dort um den Ausbau der Infrastruktur gekümmert hat und nicht um „gendergerechte Sprache“ in Behördenbriefen?

Man muss eben Prioritäten setzen. Dabei wird Merkels Reich immer mehr zur globalen Witzfigur. So erinnert Deutschland irgendwie an eine abgehalfterte Filmdiva, die nur noch vom Glanz vergangener Tage zehrt, von niemandem mehr richtig ernst genommen wird aber trotzdem allen Leuten mit ihrer Großspurigkeit auf die Nerven geht. Wie dem auch sei, wäre ich ein „Transmensch“, würde ich estnisch lernen oder polnisch oder etwas anderes, das Zukunft hat. Und wenn diese merkwürdige Anlaufstelle derartiges anböte, hätte sie wenigstens einen Sinn.

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