Deutschland, der Elefant und die Mayonnaise

Ich war die Tage im Restaurant eines großen Möbelhauses am Stadtrand von Rostock und daselbst im Begriff ein recht appetitlich aussehendes Kalbsschnitzel mit Pommes Frites zu essen. Von meinem Platz aus konnte ich beobachten, dass der Behälter für Mayonnaise komplett leer war, denn die anderen Gäste betätigten vergeblich den entsprechenden Hebel und zogen dann unverrichteter Dinge enttäuscht von dannen. Es schien mir, dass wohl gut mehrere Dutzend Restaurantbesucher sich erfolglos an der Mayonnaisepumpe zu schaffen machten, aber kein einziger von ihnen den eigentlich ja folgerichtigen nächsten Schritt tat und einen Mitarbeiter auf den Übelstand hinwies, damit dieser frische Mayonnaise nachfüllen könnte. Also blieb alles wie es war. Bis ich nach gut einer halben Stunde das Restaurant verließ, hatte kein Gast auch nur einen Klecks Mayonnaise bekommen, andererseits aber auch nichts unternommen, um das zu ändern. Deutschland 2020. Doch was, wenn es um mehr als Pommessauce geht?

Bei einem Managerseminar vor vielen Jahren hatte ich gelernt, dass es keine Probleme gibt, sondern lediglich Herausforderungen. Letzteres würde, so der Referent, positiver und ermutigender klingen, denn der Terminus Problem sei absolut negativ konnotiert. Da hatte er freilich recht und so will auch ich nicht behaupten, dass Deutschland vor einer Unzahl von Problemen steht und stattdessen von Herausforderungen sprechen.

Da wäre zunächst dieser Coronavirus. Ob er wirklich an den mittelalterlichen Schwarzen Tod oder die Spanische Grippe von 1918 ff. heranreicht, was Letalität und Verbreitungspotential anbetrifft, kann ich nicht beurteilen. Fakt ist jedoch, dass die ökonomischen Auswirkungen schon jetzt verheerend sind. China ist die Werkbank der Welt und viele westliche Konzerne haben ihre Produktion aus Kostengründen ins Reich der Mitte ausgelagert. Kaum etwas haben wir hier in Deutschland in Gebrauch – sei es im Haushalt oder am Arbeitsplatz – das nicht irgendwelche Bauteile enthält, die aus China stammen, wenn das Gerät nicht gleich ganz dort hergestellt worden ist. Indes hat man in Peking die Schließung der eigenen Grenzen verfügt, womit die internationalen Lieferketten einstweilen unterbrochen sind. Die Achillesverse der Globalisierung wird hier offensichtlich. Es ist nach derzeitigem Stand der Dinge nur noch eine Frage von wenigen Tagen oder Wochen, bis die deutsche Wirtschaft – schon jetzt arg unter Druck – vor diesen Herausforderungen in die Knie geht.

Ferner rächt sich nun auch die Verlagerung von strategisch wichtigen Schlüsselindustrien ins Ausland, vor allem nach China und Indien. Bereits vor drei Jahren warnte ein NDR-Beitrag vor der Intransparenz in Bezug auf die Herkunft von in Deutschland verkauften Arzneimitteln. Diese stammen mehrheitlich eben nicht aus der Bundesrepublik selbst, sondern werden zum Beispiel im indischen Hyderabad oder an chinesischen Standorten produziert. Das bedeutet, im Falle einer globalen Pandemie mit Grenzschließungen allenthalben und einer Unterbrechung lebensnotwendiger Lieferketten, kann es in Deutschland sehr schnell zu einer Medikamentenknappheit kommen. Letzteres wird zwar von regierungsamtlichen Stellen vehement bestritten, doch haben wir Bürger schon oft genug erleben müssen, dass es mit dem Wahrheitsgehalt von staatlicher Propaganda nicht allzu weit her ist.

Der Coronavirus ist freilich keineswegs die einzige Herausforderung, vor der Deutschland und Europa stehen. Im Nahen Osten ist der türkische Präsident Erdogan gerade dabei, die gesamte Region in die Luft zu sprengen, um im Pulverdampf des Syrienkonfliktes und der instabilen Lage im Irak seinen Traum von einem neo-osmanischen Großreich zu verwirklichen. Da die Türkei in ihrer bisherigen Größe für die Türken zu klein geworden sei, brauche sein Volk mehr Lebensraum. Wir kennen solcherlei Ansprüche aus der eigenen Geschichte und wissen, was daraus wurde. Trotzdem ist Ankara noch immer Mitglied der NATO, was deren übrige Mitgliedsstaaten zu Komplizen Erdogans und seiner Verbrechen macht. Gott sei Dank gibt es wenigstens noch Russland als letztes verlässliches Bollwerk wider die aberwitzigen Großmachtpläne des türkischen Möchtegernsultans.

Der Kreml wiederum engagiert sich keinesfalls nur aus purer Selbstlosigkeit in jener Region. Die Geplänkel mit der Türkei sind auch Ausdruck eines historisch bedingten Antagonismus zwischen Russland als Schutzmacht der orthodoxen Christenheit (siehe Balkankonflikt) einerseits und der von Erdogan wiederzuerweckenden osmanischen Hohen Pforte am Bosporus andererseits, deren Selbstverständnis auf die einer Führungsmacht des Islam, auf das Kalifat also hinauslief und erneut hinauslaufen soll. Die Idee von Moskau als dem „Dritten Rom“, wie sie erstmals in Schriften des Mönchs Filofei aus dem Pskower Eleazar-Kloster zur Zeit Iwan des Schrecklichen im 16. Jahrhundert aufkam, ist im Russland Präsident Wladimir Putins lebendiger als viele glauben. Der Politikwissenschaftler Jörg Himmelreich wies darauf hin, dass das Verständnis der russischen Geschichte als fortlaufender Teil der Heilsgeschichte die politischen Systeme nicht nur des Zarenreiches, sondern auch der Sowjetunion geprägt habe und mit der Herrschaft Wladimir Putins stärker denn je das russische Staatsdenken prägt.

Diesem Konzept inhärent ist auch eine großmachtpolitische Komponente, welche auf die Befreiung des „Zweiten Rom“, also Konstantinopels hinausläuft, dem heutigen Istanbul. Letztlich wären dann auch der Iran und das mitnichten befriedete Transkaukasien ein Teil dieser konfliktträchtigen Gemengelage. In einem Deutschland jedoch, das sich abgesehen von den zwölf Jahren des Dritten Reiches jedwede Geschichtsbezogenheit in seiner Innen- wie Außenpolitik komplett abgewöhnt hat, klingen solche Aussagen natürlich befremdlich. Das aber ist das Problem der deutschen Politik und ein Grund für den weltfremden Dilettantismus der Bundesregierung.

Während all dies vor unseren Augen geschieht, bleiben sowohl die Bundesrepublik als auch die EU bloße Zuschauer ohne eigenes Konzept oder irgendeinen gangbaren Lösungsansatz. Stattdessen lässt man es zu, dass erneut Millionen von tatsächlichen oder vermeintlichen Flüchtlingen aus den Krisengebieten des Nahen Ostens zu uns nach Deutschland kommen. Die Verlogenheit Angela Merkels – von der sich indes immer mehr Menschen fragen, ob sie überhaupt noch am Leben ist – in Sachen Zuwanderungspolitik, nämlich Erdogan gegen ein üppiges Schutzgeld die Drecksarbeit machen zu lassen um sich selbst „unschöne Bilder“ zu ersparen, fällt nun auf sie selbst und somit uns alle zurück. Der sogenannte Flüchtlingspakt ist für die Türkei nämlich ein treffliches Druckmittel, mit welchem Erdogan die Europäische Union komplett in der Hand hat. Entweder sind Brüssel und Berlin ihm zu Willen oder er öffnet die Schleusen, lässt Millionen Migranten gen Norden ziehen und zerstört damit die EU komplett. Die erste Flüchtlingskrise führte zum Brexit, die zweite wird das Ende des gesamten Konstrukts herbeiführen.

Nun mag eine endgültige Implosion der EU nicht wenige Zeitgenossen aus durchaus nachvollziehbaren Gründen als erfreuliche Zukunftsaussicht erscheinen. Doch wäre eine neuerliche Migrationskrise – voraussichtlich schlimmer noch als die von 2015 – freilich auch die ultimative Zerreißprobe für Deutschland selbst. Wirtschaftlicher Niedergang, ein Wohlfahrtssystem am Rande des Kollaps sowie eine völlig unfähige politische Führung sind zusammen mit hunderttausenden weiteren Zuwanderern ein höchst explosives, von gewissen Kreises aber vielleicht auch so gewolltes Gemisch. Galoppierende Verarmung weiter Teile der Bevölkerung und ethnische Konflikte bis anhin nicht gekannten Ausmaßes sind keine schrillen Angstvisionen irrlichternder Untergangspropheten mehr, sondern werden immer wahrscheinlicher, insofern sich nichts ändert und zwar grundlegend.

Damit wären wir wieder bei der Mayonnaise im Möbelhaus-Restaurant. Der Elefant steht mitten im Raum. Trotzdem geschieht nichts. Unter normalen Umständen wäre jetzt die Stunde gekommen, da sich entweder die irgendwie abgetauchte Bundeskanzlerin Merkel oder der Bundesgrüßaugust Frank-Walter Steinmeier mit einer wegweisenden Rede an die verunsicherte Nation wenden, die Lage schonungslos beschreiben und Wege aus der Krise offerieren müssten. Stattdessen werkelt Ursula von der Leyen auf EU-Ebene an ihrem „Green Deal“ und von den Berliner Akteuren hören die Bürger gleich gar nichts. Norbert Röttgen als Aspirant auf den CDU-Vorsitz versteigt sich allen Ernstes zu der Forderung nach einem „Rechtsextremismus-Kabinett“ und spaltet die Nation damit mehr, als dass er sie eint.

Den großen Wurf in dieser Situation hat – das muss man bei aller Loyalität konstatieren – auch die AfD nicht zu bieten. Deren Führung gleicht in ihrer Visionslosigkeit dem Regime, welches sie zu bekämpfen vorgibt und verschleißt sich ansonsten im sinnlosen Ringen um das Wohlgefallen ihrer politischen Gegner, was zwangsläufig zu ruinösen internen Konflikten führen muss. Fernerhin kommt der totale Unwille der AfD-Spitze, eine Mobilisierung der Volksmassen auf der Straße als unverzichtbare Ergänzung zum parlamentarischen Kampf zu begreifen und anzuerkennen, einer politischen Selbstamputation gleich. Solange es unter AfD-Politikern als eine Art Mutprobe gilt, offiziell bei Pegida aufzutreten, bleibt diese Partei der Torso einer wirkungsvollen Opposition.

 

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1 Kommentar zu „Deutschland, der Elefant und die Mayonnaise“

  1. Siegrun Strahlau

    Ein großartiger Text! Genauso ist es. Solche Erlebnisse wie mit der Mayonnaise hatte ich auch schon. Deswegen wird sich hier in Deutschland wahrscheinlich nie etwas ändern. Aber man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben. Machen Sie weiter so!

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