Hannah Arendt äußerte in dem legendären Gespräch mit Günter Gaus vom Herbst 1964 die Meinung, es sei kein Patriot, wer vorgäbe, sein eigenes Volk so zu lieben, dass er glaube, es ständig umschmeicheln und ihm unbequeme Wahrheiten vorenthalten zu müssen. Sie bezog sich damit auf Anfeindungen gegen die eigene Person, nachdem ihr Buch über den Eichmann-Prozess erschienen war, worin sie Kritik an den Juden selbst einigen Raum gegeben hatte. Ich erwähne das, weil mir scheint, dass es auch innerhalb der AfD zuweilen schwierig ist, einzelne Protagonisten, Strukturen oder gar die Partei als Ganzes zu kritisieren, weil dann häufig unterstellt wird, man würde damit das Geschäft des politischen Gegners betreiben. Für jene, an welche sich die Kritik richtet, ist das eine sehr einfache und bequeme Methode, um derlei Widerworte im Keim, also ohne größere Diskussion in der Sache, ersticken zu können. Kritik somit unmöglich zu machen, dient freilich zuvorderst dem eigenen Machterhalt und nicht der Verhinderung einer Übervorteilung des Gegners durch argumentative Zuarbeit aus den eigenen Reihen.
Die AfD in Mecklenburg-Vorpommern steht an einem Scheideweg und alles deutet darauf hin, dass sich im Laufe des bevorstehenden Landesparteitages entscheidet, welche Richtung man fürderhin einschlagen wird. Natürlich erwartet uns hier nicht der von den Medien seit Monaten unablässig heraufbeschworene finale Endkampf zwischen den gemäßigten und also irgendwie guten Kräften einerseits sowie den sogenannten völkischen und ergo finsteren Heerscharen andererseits. Das ist dümmliches Propagandagewäsch, wie es die AfD von Beginn an begleitet, um gleichzeitig aber auch immer wieder von jenen dankbar aufgegriffen zu werden, die politische Mäßigung mit Beliebigkeit und Anpassungsbereitschaft verwechseln. Diese Leute glauben zudem allen Ernstes den Sirenengesängen der Kartellparteien, man müsse sich nur von gewissen Personen und allzu scharfen Forderungen trennen, um endlich satisfaktionsfähig und eines Platzes am Spieltisch der Macht würdig zu sein. Wahr ist, dass die AfD unter den derzeit herrschenden Verhältnissen kaum jemals allein über die parlamentarische Arbeit in Regierungsverantwortung kommen wird, ohne auf dem Weg dorthin ihre Seele zu verlieren. Womit wir beim Thema wären, nämlich bei der Frage, worum es auf dem kommenden Landesparteitag tatsächlich gehen wird.
Es muss jeden wohlwollenden aber kritischen Beobachter des Aufstiegs der AfD erstaunen und erschrecken, mit welcher Geschwindigkeit sich die Oligarchisierung dieser Partei vollzieht, also die schleichende Erstickung von interner Basisdemokratie bei gleichzeitiger Herausbildung einer Funktionärskaste aus Berufspolitikern samt ihrer elitären Netzwerke und deren sukzessive Machtübernahme. Als habe er diese Behauptung zusätzlich untermauern wollen, verfasste ein Mitarbeiter der Schweriner AfD-Landtagsfraktion unlängst ein Elaborat, worin er sich mit der Forderung nach einer Trennung von Amt und Mandat auseinandersetzte. In seiner ablehnenden Haltung dazu berief sich der Referent auf die angeblich umfassende Überlegenheit hauptamtlicher Mandatsträger gegenüber den „einfachen“ Mitgliedern an der Basis. Die Abgeordneten seien qua Job hervorragend vernetzt, fachpolitisch besser gebildet, finanziell üppiger versorgt und auch sonst nur zu ihrem Posten gekommen, weil sie eben die Creme der Partei darstellten. Genau darum wären gerade sie ganz automatisch für jedes Vorstandsamt buchstäblich prädestiniert. Was der gewitzte Bursche hier vorträgt, ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in Bezug auf die schrittweise Abkopplung der Funktionäre von der Parteibasis. Die Sonderstellung der Nomenklaturkader wird mit deren exklusivem Zugang zu Netzwerken, Geld und Fachwissen begründet, den die Basis nicht habe. Richtig. Doch hat sie den vor allem deswegen nicht, weil sie nie die Chance dazu bekommt, denn die parteiinterne Elite macht ja alles unter sich aus. Das ist mit Oligarchisierung gemeint. Wer will und braucht so etwas?
Unser Land braucht vielmehr eine AfD, die erkennt und praktiziert, dass man das System nicht ändern kann, wenn man selbst nach jenen Prinzipien arbeitet, welche unser Land und Europa in diese fürchterliche Situation gebracht haben. Es sehnt sich nach einer AfD, die von starken Patrioten geführt wird, welche unerschrocken klare Positionen beziehen und konsequent verfolgen, anstatt es aalglatt jedem recht machen zu wollen, um vor allem die persönliche Karriere voranzutreiben. Es will eine AfD, deren Führungskräfte neue Talente fördern und einbinden, statt sie als potentielle Bedrohung der eigenen Machtposition wahrzunehmen und zu bekämpfen. Ferner sollte diese AfD eine umfassende parteiinterne Bildungsarbeit betreiben, um möglichst viele Mitglieder zu befähigen, in jeder politischen Funktion erfolgreich arbeiten zu können. In einer solchen AfD sollten sich nicht jene durchsetzen können, die es mit anständigen und ehrlichen Methoden nie zu etwas bringen würden und deshalb auf Intrigen und Komplotte angewiesen sind. Unser Land braucht keine AfD, deren Abgeordnete allen Ernstes eine Verschärfung bestehender Gesetze fordern, um noch mehr unbequeme Mitglieder noch einfacher aus der eigenen Partei ausschließen zu können. Es braucht vielmehr eine AfD, deren Politiker mutig genug sind, um unbequeme Diskussionen anzustoßen, unkonventionelle Lösungsvorschläge zu machen, kühne Visionen zu entwickeln und eingefahrene Wege zu verlassen. Vor allen Dingen ist es höchste Zeit für eine AfD, welche die Massen auf der Straße zu mobilisieren versteht, um ihren Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen.
Der 9. November gilt als Schicksalstag der Deutschen schlechthin und zwar im Guten wie im Bösen. Zwar mag der an eben diesem Tage in Waren/Müritz stattfindende Landesparteitag der AfD von Mecklenburg-Vorpommern im gesamtdeutschen Maßstab nur eine Randnotiz darstellen, doch könnten dessen mittel- und langfristige Folgen weitaus bedeutsamer sein, als den Mitwirkenden derzeit vielleicht bewusst ist. Es dürfte sich also in Kürze herausstellen, ob dieser Parteitag den politischen Karrieren einiger weniger genützt haben wird oder aber der Rettung unseres ganzen Volkes.