Heute ist der letzte Tag, an dem die Greifswalder Universität den Namen Ernst Moritz Arndt trägt. Ab morgen ist die zweitälteste Alma Mater im Ostseeraum dann namenlos. Die Auseinandersetzung um den kontroversen Patron ist schon zwei Dekaden alt und Ausdruck eines Paradigmenwechsels im deutschen Bildungswesen, dessen Opfer, freilich ohne sich dieses Umstandes selbst bewusst zu sein, mit einem Anachronismus abschließend aufgeräumt haben. Wir sollten den Studenten, welche die Ablegung des Namens Ernst Moritz Arndt in den vergangenen Jahren durchgefochten haben, deswegen auch nicht böse sein, denn der pommersche Schriftsteller, Historiker und Freiheitskämpfer hat mit dem, was heutigentags an deutschen Hochschulen geschieht, so wenig zu tun wie nur irgendwas. Arndt (1769 – 1860) stand für das Bildungsideal der deutschen Klassik, welches noch in der DDR im Postulat der „allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit“ seinen Nachhall fand, aus dem Schulwesen des gegenwärtigen Deutschland indes völlig verschwunden ist. Persönlichkeiten sind eben nicht mehr gewollt, nur noch auf eingegrenzte Fachkompetenzen konditionierte Arbeits- und Konsumdrohnen, stets kompatibel mit den Erfordernissen des globalisierten Kapitals. Heimatliche Verwurzelung, familiäre Bindungen oder die Verehrung der eigenen Kultur, vor allem aber die Fähigkeit zur Hinterfragung einer Abwesenheit von Identität in jedweder Form, sind seitens der Gesellschaftsingenieure unserer Tage nicht gefragt, ja werden von ihnen kriminalisiert.
Insofern ist es nur folgerichtig, dass der 200. Geburtstag des Schweizer Kulturhistorikers Jacob Burckhardt (1818 – 1897), eines der prägenden Geister des 19. Jahrhunderts, nur Eingeweihten bewusst zu sein scheint. Während der Name Arndt in Greifswald ja getilgt wurde, weil dessen Gegner vorderhand die „dunklen Seiten“ seiner Persönlichkeit betonten, war es gerade diese Ambivalenz, welche den gebürtigen Baseler Burckhardt an den Protagonisten der europäischen Geschichte so faszinierte. Obwohl er sich auf den Pfaden von Alexis de Tocqueville auch kritisch mit der aufkommenden Massendemokratie auseinandersetzte, widmete Burkhardt einen Gutteil seiner wissenschaftlichen Arbeit der italienischen Renaissance. Diese Epoche als Durchbruch der individualisierten Selbstwahrnehmung, weg vom mittelalterlichen Kollektiv der Gläubigen hin zu Selbsterkenntnis und Selbstentfaltung, war seine unbestrittene Leidenschaft. Anhand der Renaissance mit ihrer staunenswerten Doppelgesichtigkeit, wie sie durch Päpste und Fürsten, Condottieri und Künstler verkörpert wurde, erkannte Burckhardt, dass das Erhabene und das Verruchte nicht nur diffundieren, sondern sich wechselseitig bedingen. Ausschweifende Lüstlinge wie Papst Leo X. oder brutale Potentaten wie Cesare Borgia konnten gleichzeitig passionierte Förderer von Kunst und Kultur sein. Und der gewalttätige Kriminelle war die finstere Seite des italienischen Malergenies Caravaggio, der sich wegen diverser Vergehen ständig vor Gericht zu verantworten hatte. Gerade diese Widersprüchlichkeit muss die Renaissance zu einem der produktivsten Abschnitte der europäischen Geschichte gemacht haben.
Ein System, das sich auch befugt sieht, die Menschen sittlich zu erziehen, dies umso mehr als es alle anderen Aufgaben eines Staates nicht mehr zu leisten vermag, kann mit disparaten Persönlichkeiten wie den oben genannten nichts anfangen. Der neue Mensch soll tadellos rein sein, ohne Ecken und Kanten. Er soll nicht rauchen und nicht trinken, nicht fluchen und schimpfen (vulgo nicht hassen), nicht zu viel Zucker und Fleisch essen, artig den Müll trennen, an den Klimawandel glauben, alle anderen Meinungen toll finden und auch sonst nicht widersprechen (vulgo die Gesellschaft spalten) usf. Was ist also der Grund dafür, dass historische Gestalten wie Ernst Moritz Arndt fürderhin zu Personae non gratae werden, während einem Karl Marx zu dessen 200. Geburtstag auf teilweise bizarre Weise gehuldigt wird? Immerhin ist auch Marx keine ausschließliche Lichtgestalt, sondern hatte freilich – wie eben auch Arndt – seine abstoßenden Facetten. Es ist nur eine Ahnung, aber leider keine so gänzlich unbegründete, dass in diesem Jahr 2018 ein Karl Marx nicht dafür gefeiert wird, was er auf dem Gebiet der Philosophie und Ökonomie mutmaßlich geleistet hat, sondern für das, was später daraus geworden ist. Das deutsche Juste Milieu ehrt nicht den Denker, sondern das, wofür er die ideologischen Grundlagen geliefert hat, mithin also das sozialistische Gesellschaftsexperiment mit seinen zig Millionen Opfern. Wenn wir dieser Tage beobachten, wie sich die deutsche Linke, Repräsentanten der großen Kirchen sowie Vertreter des Kapitals einträchtig an Karl Marx delektieren, muss uns allenthalben klar werden, dass hier eine unheilvolle Symbiose aus rotem Totalitarismus, christlichem Heilsversprechen und dem Weltherrschaftsanspruch des Finanzkapitals vollzogen wird, die kaum noch zu stoppen sein dürfte.
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2 Kommentare zu „Arndt, Burckhardt, Marx – Was uns die drei Herren über Deutschland 2018 sagen“
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Holger, Ihre Nachdenklichkeit ist völlig berechtigt und sollte -parteiunabhängig- uns allen staatsbürgerliche Sorge bereiten über unsere zunehmend geistige Banalisierung und nationale Verleugnung!
Die Un-Benennung der einst namhaften “Ernst-Moritz-Arndt”-Universität in Greifswald (selbst in der DDR-Epoche), zeigt mir die nicht-universale Denkart unserer “zeitgenössischen” Philosophen, Politologen und Soziologen der sog. “Geisteswissenschaften”.
Bei öffentlichen Vorlesungen und Diskussionen habe ich in diesen Fachbereichen in der Universität Rostock auch noch keine souvräne und universale “Leuchte des Nordens” entdecken können, sondern überwiegend stark links-ideologisch geprägte Hochschullehrer. U.a. solche, die einen US-Vaterlandsverräter zum Dr. hc (“ehrenhalber”) ohne wissenschaftliche Relevanz befördern wollten…