Rücktritte und Skandale – Zur politischen Lage in MV

Das ist schon erstaunlich! Je näher die Landtagswahl im Herbst 2021 rückt, desto mehr zerlegen sich zumindest die beiden Regierungsparteien im Parlament von Mecklenburg-Vorpommern selbst. Die regionalen Medien indes können ihr Glück kaum fassen, denn endlich ist mal wieder etwas los im eher sensationsarmen Nordosten der Bundesrepublik. Besonders der NORDKURIER scheint einen besonders guten Draht in die Hinterzimmer der Schweriner Politik zu haben. Erst darf die vormalige Neubrandenburger SED-Bezirkszeitung der Öffentlichkeit exklusiv den völlig überraschenden Rücktritt des bisherigen CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Vincent Kokert verkünden, dann eine rührselige Homestory über den Klinikaufenthalt des AfD-Spitzenkandidaten Nikolaus Kramer bringen und schließlich den Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Jochen Schulte, des Durchstechens streng vertraulicher Informationen an die AWO bezichtigen.

Was den Fall Kokert anbetrifft, fällt es wahrlich schwer zu glauben, dass ein Politiker, der es mit 41 Jahren zum Landes- und Fraktionschef der CDU gebracht und beste Chancen hat, nächster Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern zu werden, einfach so und ohne jedwede Rücksprache mit Kollegen oder Vertrauten von heute auf morgen alles hinschmeißt. Sind es wirklich familiäre Gründe, die Kokert die Aussicht auf den Chefsessel in der Schweriner Staatskanzlei gegen einen Geschäftsführerposten bei den Neustrelitzer Stadtwerken eintauschen ließen? Oder hat die Antifa in der Vergangenheit des Shootingstars der CDU eine Leiche ausgegraben und mit Veröffentlichung gedroht? Die SPD steht bekanntlich politisch mit dem Rücken zur Wand. Da ist man zu vielem fähig. Dem linksextremen Milieu auf das Engste verbunden, könnten ihr die nun beim Koalitionspartner ausbrechenden Diadochenkämpfe bis zur nächsten Wahl durchaus nützen.

Letzteres hätte man bis heute glauben können. Doch den Spezialdemokraten in Mecklenburg-Vorpommern scheint es vorderhand wichtiger zu sein, die korruptiven Machenschaften beim roten Wohlfahrtskonzern AWO zu decken, als die Zukunft der eigenen Partei zu sichern. Im Zentrum der Vorwürfe steht Jochen Schulte, Rechtsanwalt, seit 2002 Mitglied des Landtages, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion und Vorsitzender des auf Betreibend er AfD eingesetzten AWO-Untersuchungsausschusses. Letzteres ist reichlich skurril und lässt einen an die Metapher vom Vampir als Wächter der Blutbank denken. Schon einmal stand der Mann im Zwielicht, als auf Initiative der SPD seitens der Rostocker Straßenbahn AG, in deren Aufsichtsrat Schulte seinerzeit saß, rund 130.000 Euro an die Kanzlei des umtriebigen Advokaten gezahlt wurden. Nun also soll Schulte einen Mitarbeiter der Rostocker AWO, der ihm hoch brisantes Material zwecks Unterstützung der Ausschussarbeit hatte zukommen lassen, ans Messer geliefert haben, indem er den Informanten gegenüber dessen Vorgesetzten enttarnte. Der couragierte Mann ist inzwischen arbeitslos. Wieder eine Existenz zerstört im Interesse des Erhalts der linken Machtstrukturen.

Das also sind die Moralapostel der Blockparteien, von denen auch ich mich gerade in der vergangenen Sitzungswoche wieder in übelster Weise beschimpfen und verleumden lassen musste. Vor allem mein jüngster Antrag, der auf eine Abschaffung des Verfassungsschutzes zugunsten einer gleichzeitigen Stärkung der für den Staatsschutz zuständigen Abteilungen der Landespolizei abzielte, ließ die Herrschaften von SPD und CDU nachgerade durchdrehen. So bezeichnete mich ausgerechnet die dubiose CDU-Abgeordnete Ann Christin von Allwörden unter anderem als Verfassungsfeind. Sie alle leben, was Hermann Lübbe in seinem Buch „Politischer Moralismus – Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft“ schon vor Jahrzehnten folgendermaßen beschrieben hat: „Statt der Ansicht und Absicht des politischen Gegners mit Sachargumenten (…) zu widersprechen, qualifiziert man moralisierend die Person dieses Gegners und gibt sich öffentlich erstaunt oder empört, was für einer er doch sei. Statt eine Ansicht zu tadeln, tadelt man, sie zu haben, und statt eine Absicht zu rügen, erklärt man, hier sehe man doch, um wen es sich handelt.“

Doch das hohe Ross, auf dem die Hypermoralisten sitzen, lahmt spürbar und ist im Begriff einen Reiter nach dem anderen abzuwerfen. Bis anhin hat es sich stets bewahrheitet, dass jene, die besonders gnadenlos über die Fehltritte anderer zu Gericht sitzen, selbst den meisten Dreck am Stecken haben. Für die AfD in Mecklenburg-Vorpommern bieten sich an dieser Stelle unvorhergesehene Chancen, vor allem nachdem die jüngste Forsa-Umfrage eher ernüchternd ausfiel. Im Vergleich zur Landtagswahl 2016 hat die SPD zwar mehr als 11 Prozent verloren und kommt derzeit nur noch auf 19 Prozent. Zulegen konnte hingegen die CDU mit jetzt 20 Prozent. Die AfD verliert knapp 2 Prozent und liegt mit der SPD gleichauf. Die Linke darf sich über 14 Prozent freuen. Nach fünfjähriger Pause wären unter den gegebenen Umständen allerdings die Grünen wieder im Schweriner Schloss vertreten mit 13 Prozent, was einem Zugewinn von 8 Prozent entspricht. Sogar die FDP kann sich wieder Hoffnung machen: Forsa ermittelte einen Stimmenanteil von 5 Prozent. Der Rest entfällt auf die sogenannten „Anderen“, immerhin 10 Prozent, die aufgrund der Fünf-Prozent-Hürde allerdings unter den Tisch fielen.

Die AfD ist seit der letzten Landtagswahl im Herbst 2016 bei Umfragewerten im Bereich von 20 Prozent verharrt. Die Fortgänge einiger Abgeordneter schadeten ihr indes genauso wenig, wie ihr diverse Parteiausschlüsse genützt haben. Auch die abnehmende Bedeutung des Migrationsproblems in der öffentlichen Wahrnehmung hat die Zustimmungswerte für die AfD nicht beeinflusst. Offenkundig verfügt die Partei also über eine ziemlich verlässliche Stammwählerschaft von rund 20 Prozent, die ihr den einen oder anderen Fauxpas nicht verübelt und sich mit der bis anhin gebotenen Performance zufriedengibt. Trotzdem ist die AfD von dem wiederholt postulierten Ziel, mittelfristig stärkste Kraft zu werden, noch weit entfernt. Zwar bräuchte es derzeit lediglich 2 Prozent, um sich vor die momentan führende CDU zu setzen, doch wäre damit nichts gewonnen, weil dem vermeintlichen Erfolg jedes gestalterische Potential fehlte. Für einen ernstzunehmenden Machtanspruch benötigt die AfD nicht weniger als 30 Prozent. Eine deutlich schwächere CDU sorgt dann für die notwendige Mehrheit der Sitze einer allfälligen blau-schwarzen Koalition im Landtag. Freilich bleibt die Frage fürderhin diskussionswürdig, ob es nicht auch andere Wege gibt, unsere mittel- und langfristigen Ziele durchzusetzen.

Es soll an dieser Stelle mitnichten im Detail elaboriert werden, wie man ein AfD-Wahlergebnis von 30 Prozent und mehr zustande bringen könnte. Ich habe im Laufe der Jahre eine Reihe von strategischen und inhaltlichen Konzepten vorgelegt, die ich im Falle einer praktischen Anwendung nach wie vor als sehr erfolgversprechend erachte. Einerseits fehlt der AfD bis heute ein visionärer Gesellschaftsentwurf: Wie soll ein Mecklenburg-Vorpommern unter AfD-Führung am Ende des Tages konkret aussehen? Ferner benötigt die Partei einen vorzugsweise unkonventionellen Spitzenkandidaten, der über die Grenzen des eigenen Milieus hinaus – gerade auch wegen seiner Ecken und Kanten – Wählerzuspruch zu generieren vermag. Genau das war in den zurückliegenden Dekaden das Rezept ausgerechnet der SPD. Ihre früheren Erfolge verdankte sie weniger eigenen Inhalten als zweier Ministerpräsidenten, die mit einer Mischung aus integrativem Charisma und landesväterlichem Auftreten parteiübergreifend wählbar waren. Mit der linken Ideologin Manuela Schwesig ist das nun endgültig vorbei. Die SPD fällt erstaunlich rasant auf ihre stetig schwindende Stammwählerschaft zurück. Im selben Maße steigen aber auch die Chancen für eine „bürgerliche Revolution“ (Markus Krall). Dafür braucht es mehr kraftvolle Visionäre und weniger verwaltende Buchhalter.

Foto: Screenshot YouTube-Kanal des Landtages MV

 

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1 Kommentar zu „Rücktritte und Skandale – Zur politischen Lage in MV“

  1. Siegfried Berghofer

    Sehr interessanter Text, Herr Arppe! Sie haben völlig recht. Apropos Spitzenkandidat mit Ecken und Kanten: Das trifft doch auf Ihre Person vollumfänglich zu. Ich glaube kaum, dass die Masse der Wähler Ihnen die angeblichen Fehltritte von vor vielen Jahren noch übel nimmt. Genauso wenig wie bei Trump oder Boris Johnson. Leider war die AfD so dumm, Sie rauszuwerfen. Aber wer weiß? Ihre Zeit kommt noch. Bleiben Sie bloß am Ball und lassen Sie sich nicht unterkriegen. Meine Frau ist immer ganz begeistert von Ihren Auftritten im Landtag. Weiter so! Unser Land braucht Sie!

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