Das Ende des Holmismus

Die Ankunft in Grimmen am Kulturhaus mit dem ungewöhnlichen Namen „Treffpunkt Europas“ erfolgt ganz staatsmännisch. Der Leiter der AfD-Landesgeschäftsstelle öffnet ehrerbietig den Schlag des PKW und Leif-Erik Holm, Parteisprecher in Mecklenburg-Vorpommern sowie Bundestagsabgeordneter in Berlin, steigt lächelnd aus, um sich im nächsten Moment den Fragen des schon wartenden NDR zu widmen. Man habe, so Holm gegenüber seinem früheren Arbeitgeber, durchaus die Chance, den bis anhin stets von Angela Merkel und also der CDU gewonnenen Wahlkreis 15 für die AfD zu erobern. Die Parteibasis werde das schon begreifen und folglich ihn zum Direktkandidaten wählen.

Als nächstes nehmen die Presseleute Holms Herausforderer, den Rüganer Dario Seifert, ins Visier. Der wird vom NDR freilich nicht so wohlwollend interviewt, sondern mit dem Vorwurf konfrontiert, er würde „seit einiger Zeit mit der Neonaziszene in Verbindung gebracht“. Im AfD-Landesverband gibt es nicht wenige, die glauben, dass jene bereits reichlich angestaubten Geschichten vom Holm-Lager gezielt neu aufgewärmt wurden, um den 26-jährigen Kommunalpolitiker zu diskreditieren, seine Unterstützer zu verunsichern. Immerhin pariert der junge Mann die Fragen der Reporter über die Coronamaske hinweg ganz pfiffig. Ein Rechtsruck sei in der Vergangenheit schließlich nach jeder parteiinternen Wahl von der Presse ausgemacht worden. Kalter Kaffee also und in der Tat wird innerhalb der Partei gerne mal gespottet, man sei laut Medien schon dermaßen oft nach rechts gerückt, dass die AfD indes wohl bald wieder links herauskomme.

Die Region um Grimmen war für die DDR einmal mit großen Hoffnungen verbunden. Hier förderte man Erdöl, hoffte auf reiche Erträge aus den Tiefen der vorpommerschen Erde. Daran erinnert das Kulturhaus, welches aus jener Zeit des Aufbruchs stammt, noch heute. Nicht das schwarze Gold soll heuer sprudeln, sondern die Wählerstimmen und der AfD einen Sieg im prestigeträchtigen Wahlkreis der Kanzlerin bringen. Die saß seit 1990 wie ein Bohrturm unangefochten auf diesem Landstrich und ließ aus immer schwerer nachvollziehbaren Gründen für ihre CDU die Prozente nur so sprudeln. Nach Merkels avisiertem Rückzug aus der Bundespolitik steht in Vorpommern nun also eine Wachablösung an. Natürlich hat die AfD recht, wenn sie sich in dieser historischen Situation berechtigte Hoffnungen auf eine Übernahme dieses Wahlkreises macht. Die Konkurrenz ist neu, blass und hat weder landes- noch bundespolitische Erfahrungen oder gar Erfolge vorzuweisen. Mit dem richtigen Kandidaten könnte die freiheitlich-patriotische Opposition also durchaus einen Stich machen.

Im früheren Grimmener Kulturpalast der Erdölkumpel präsentieren sich an diesem kalten Februartag gleich zwei Kandidaten, die sich für diesen Job prädestiniert sehen. Da ist zunächst Leif-Erik Holm, der all die letzten Jahre hindurch den Status des unverzichtbaren Aushängeschilds der AfD in Mecklenburg-Vorpommern für sich reklamieren konnte. Seine Stärke war das sorgsam gepflegte Image des stets lächelnden Sunnyboys, dem kaum eine nordostdeutsche Schwiegermutter ihre Sympathien verweigern mochte. Dass ausgerechnet er vor vier Jahren die Bundeskanzlerin in ihrem Wahlkreis zwischen Kap Arkona und Greifswald herausforderte war durchaus folgerichtig. Kaum ein Politiker der AfD kopiert das Merkelsche Erfolgsrezept nämlich so konsequent wie Holm. Halb spöttelnd und halb anerkennend schrieb die Schweriner Volkszeitung nach dessen Wiederwahl zum Landessprecher im Herbst 2019, dass „man eher einen Pudding an die Wand nageln könne, als von Holm in einer unklaren Situation eine deutliche Ansage zu hören“.

Dahinter steckt das Konzept der traditionellen Volkspartei, deren Ziel die politische Vereinnahmung möglichst breiter Bevölkerungsschichten ist. Das Motto: je unklarer die eigenen Inhalte, desto weniger polarisiert man und gewinnt in der Folge um so mehr Wählerstimmen, denn wie bei einem Vexierbild sieht beinahe jeder darin, was er gerne sehen möchte. Ergo wird Leif-Erik Holm nicht müde, die AfD als „neue Volkspartei“ auszurufen. Sein Irrtum besteht allerdings darin, dass Volksparteien, also inhaltlich diffuse Massenorganisationen mit hunderttausenden Mitgliedern, in unserer Zeit zum Auslaufmodell geworden sind. Parallel dazu beobachten wir im gesamten Westen einen durchaus beängstigenden Niedergang des Parlamentarismus, welcher sich in der sogenannten Coronakrise noch beschleunigt hat. Holms Problem und das der meisten anderen Führungskader der AfD besteht einstweilen darin, dass sie so agieren, als würde es diese Entwicklung gar nicht geben. Um bei meiner Analogie zu bleiben: sie handeln wie weiland die DDR-Wirtschaftslenker, die nahe Grimmen unbeirrt nach Erdöl bohren ließen, obwohl dort kaum noch welches zu finden war.

Der belgische Historiker David Engels schrieb unlängst, dass die Zukunft demjenigen gehört, „der begriffen hat, dass der politische Kampf der Zukunft wie im spätrepublikanischen Rom wohl nicht mehr über Wahlen und Institutionen, sondern über Charisma, öffentliche Meinung, Finanzkraft und den Druck der Straße entschieden werden wird.“ Wenn Parteien künftig überhaupt noch eine verändernde Rolle in der Gesellschaft zu spielen haben, dann als eher kleine aber schlagkräftige Avantgarde idealistischer Überzeugungstäter mit subversivem Einschlag. Die Ignoranz Holms und großer Teile der AfD gegenüber den so bedauerlichen wie realen Veränderungen der politischen Verhältnisse in Deutschland (und eben nicht nur dort) macht jene Leute indes zu einem Problem für den so dringend notwendigen Erfolg der freiheitlich-patriotischen Kräfte in unserem Lande.

Vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklung Deutschlands hin zu einer zumindest halbtotalitären Scheindemokratie kann die von Leif-Erik Holm in Grimmen dargebotene Bewerbungsrede für weitere vier Jahre im Bundestag nur enttäuschen. Nicht jeder hat die visionäre Kraft und die intellektuelle Tiefe eines Björn Höcke, aber sieben Minuten zu reden, ohne rein gar nichts von Bedeutung gesagt zu haben, ist für einen Spitzenkandidaten der einzigen relevanten Oppositionspartei in Mecklenburg-Vorpommern schlechterdings zu wenig. Selbst unter normalen Bedingungen wären Holms Einlassungen kaum ausreichend gewesen, äußerte er sich doch nicht einmal zu den beherrschenden tagespolitischen Themen wie Corona, Nord Stream 2, Wirtschaftskrise und weiter voranschreitender Migration. Entscheidend ist gleichwohl die Beantwortung einer ganz anderen Frage, nämlich wie die AfD, wie Holm im Bundestag fürderhin mehr erreichen will, als mit Kritik an einer eingestürzten Autobahnbrücke auf die erste Seite einer Lokalzeitung zu kommen. Ferner kann es nicht reichen, den möglichen Wahlerfolg der eigenen Partei damit zu begründen, dass die Konkurrenz aktuell eher schwach aufgestellt scheint. Man sollte es zudem nicht unterschätzen, dass die hiesige CDU für den bevorstehenden Wahlkampf eben jene Werbeagentur engagiert hat, die bereits in Österreich erheblichen Anteil am Erfolg des Sebastian Kurz verbuchen konnte.

Das Problem der AfD im Nordosten ist weniger ihre aktuell unübersehbare innere Zerrissenheit. Eine redliche Integrationsfigur, die als „ehrlicher Makler“ und für alle erkennbar um die gemeinsame Sache bemüht auf immer irgendwo aufflammende Animositäten in fairer und angemessener Weise zu reagieren versteht, könnte derlei Übelstände leicht eindämmen. Eine solche zu benennen, ist freilich nicht meine Aufgabe. Allerdings kann auch der wohlwollendste Beobachter kaum umhin, der AfD und ihrem derzeitigen Vorstand zu attestieren, an einer anderen und zwar entscheidenden Stelle bis anhin versagt zu haben. Wie will man angesichts eines allenthalben wachsenden Verfolgungsdrucks künftig die eigenen Ziele tatsächlich umsetzen? Lediglich Kritik an der Regierungspolitik in die ohnehin teilweise indifferente Öffentlichkeit zu tragen oder zu sagen, was man gerne täte, wenn man denn nur könnte, wird unserem Land nicht helfen, dessen Niedergang kaum aufhalten.

Hier liegt der Hase nämlich im Pfeffer. Die AfD – damit meine ich vor allem ihre Verantwortungsträger – hat es offenkundig komplett versäumt, die ihr während all der Jahre im Bundestag sowie in sämtlichen Landesparlamenten zugewachsenen Ressourcen zu nutzen, um sich auf eine Zukunft vorzubereiten, die mit großer Wahrscheinlichkeit von immer härteren Repressionen seitens des Staates und der mit dessen Protagonisten verbündeten Eliten vor allem in der digitalen Wirtschaft („Big Tech“) geprägt sein wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass, wer die AfD in eine erfolgreiche und für Deutschland wie Europa ersprießliche Zukunft führen will, innerhalb der Partei eine geistige Atmosphäre schaffen sollte, in der Antworten auf folgende Fragen entstehen können:

1) Wie bekommt die AfD die Jugend hinter sich? 2) Wie kann sie ausreichend Kapital, also Gönner und Mäzene, hinter sich bringen? 3) Welche besonderen Attraktionspunkte kann sie einer weitestgehend orientierungslosen Öffentlichkeit anbieten? 4) Wie kann sie den künftigen Herausforderungen gewachsenes politisches Personal hervorbringen? 5) Wie kann die AfD zum Aufbau einer unabhängigen alternativen Medienmacht beitragen? 6) Welche große, verbindende Erzählung kann sie den Menschen offerieren, die freiheitlich-patriotische Politik in einen moralphilosophischen Gesamtzusammenhang einbettet? 7) Wie kann sie die Macht der Straße mobilisieren?

Die AfD in Mecklenburg-Vorpommern machte in Grimmen nicht den Eindruck, entsprechende Lösungsansätze in petto zu haben und Leif-Erik Holm scheint die Problematik überhaupt völlig fremd zu sein. Darin gleicht er einem Feldherrn, der seine Soldaten in die Schlacht führen will, ohne ihnen vorher zu sagen, mit welchen Waffen sie eigentlich kämpfen sollen. Das scheint auch der Basis allmählich zu dämmern und so kann er seine Direktkandidatur am Ende des Tages lediglich mit zwei Zählern Vorsprung gegenüber Dario Seifert verteidigen, der mit einem respektablen Achtungserfolg von 49 Stimmen manchen als heimlicher Sieger gelten dürfte. Ein Wasserrohrbruch sowie ein tragischer Todesfall im Kreisverband Vorpommern-Rügen verhinderten die Anwesenheit einiger zusätzlicher Holm-Kritiker, was ihm gewissermaßen den Hals rettete, mithin bloße Zufälle also. Von Konfliktmanagement scheint der Beinahe-Verlierer des jüngsten Wochenendes weiterhin nichts zu halten. Im Kreise von Vertrauten soll er ganz fürchterlich geschimpft haben. Trapattoni lässt grüßen: Was erlauben Basis? Eine politische Karriere am seidenen Faden. Wie lange der noch hält, werden die kommenden Wochen zeigen. In Grimmen jedenfalls war Holm schwach wie eine Flasche leer. Hier wiederum liegen für künftige Herausforderer des unter Druck geratenen Platzhirsches sowohl der Anspruch als auch eine Chance.

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2 Kommentare zu „Das Ende des Holmismus“

  1. Leider hat der junge Herausforderer auch einige taktische Fehler gemacht. Er hatte die Möglichkeit als Zweiter zu reden, leider war die Vorstellung wenig originell und herausfordernd. Auch wäre eine bessere Beratung hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes hilfreich gewesen. Sich mit einem Gesichtslappen von den Staatsmedien filmen zu lassen, läßt keine Rückschlüsse auf eine gute Rasur zu, und die damit verbundene Entschlossenheit war nicht zu erkennen. Bezüglich des Kleidungsstils und der Güte des Gewandes könnten eventuell einige weibliche Wählerstimmen verloren gegangen sein.

    1. Ich sehe mich nach wie vor als der AfD wohlwollend gegenüberstehender kritisch-konstruktiver Beobachter. Es wäre in meinen Augen wünschenswert, würde die AfD meine Einschätzungen hier oder dort als Anregungen aufnehmen und nicht als feindliche Angriffe missdeuten. Ich hege gegenüber niemandem in der AfD irgendwelche bösen Gefühle, Bitterkeit oder gar Rachsucht. Mir geht es lediglich um Denk- und Diskussionsanstöße von außen.

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