Es hat wieder nicht geklappt. Am jüngsten 8. Mai hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erneut die Chance, eine wirklich große, eine wegweisende Rede zu halten; eine Rede, die auch nach Jahrzehnten noch große Anerkennung und Zustimmung finden würde, so wie eben jene des Richard von Weizsäcker am 40. Jahrestag des Kriegsendes. Jedoch ist Steinmeier anders als sein adeliger Vorgänger kein Staatsmann mit Brüchen und tiefen Verstrickungen der eigenen Familie in die Diktatur der Nationalsozialisten. Von Weizsäckers große und noch heute bewegende Ansprache vom 8. Mai 1985 ist das Ergebnis einer lebenslangen Auseinandersetzung und eines persönlichen Ringens mit der unmittelbaren persönlichen Lebensgeschichte. Aus diesem Quell speiste sich auch das Charisma anderer westdeutscher Politiker der Bonner Republik, wie zum Beispiel Willy Brandt, Franz Josef Strauß oder Herbert Wehner. Steinmeier hingegen ist ein Funktionär – austauschbar, gesichtslos und ohne die geringsten Auffälligkeiten im Lebenslauf. Dafür kann er freilich nichts. In seinem Leben ist eben nichts passiert, woran er hätte wachsen, sich reiben, interessant werden können. Gleichwohl berechtigt das einen Bundespräsidenten nicht, eine solche Rede zu einem bedeutsamen Anlass zu halten, wie Steinmeier es getan hat.
Schon die Umstände von Frank-Walter Steinmeiers Auftritt waren von ungewollter Symbolkraft. Einsam stand das Rednerpult vor den mächtigen Säulen von Schinkels Neuer Wache in Berlin, die Straße unter den Linden abgesperrt und völlig leer – kein Volk nirgends. Auf dem Platz saßen nur noch vier weitere Leute und zwar großräumig um das Staatsoberhaupt verteilt, als gehörten sie nicht wirklich dazu: Angela Merkel, Wolfgang Schäuble als Bundestagspräsident, Dietmar Woidke in seiner Funktion als derzeitiger Präsident des Bundesrates und Andreas Voßkuhle für das Bundesverfassungsgericht. Natürlich hatte das mit Corona zu tun, versinnbildlichte aber dennoch das Auseinanderdriften unserer Gesellschaft und die Bürgerferne der Eliten auf beinahe unheimliche Weise. Dieser Eindruck wurde durch die Worte Steinmeiers keineswegs aufgehoben oder wenigstens etwas abgemildert. Ganz im Gegenteil! Er ist der moralinsaure, parteiische und anmaßende Spalter geblieben, der er vom ersten Tag im Schloss Bellevue an war.
Der Bundespräsident begeht in seiner Rede mehrere schwerwiegende Fehler, als da wären:
1. Er verleiht dem Gedenken an Nazigreuel und Weltkrieg eine quasireligiöse Komponente, wenn er behauptet, dass es „keine Erlösung von unserer Geschichte“ gäbe. Ergänzt durch die Behauptung, dass die deutsche Geschichte eine gebrochene Geschichte mit der Verantwortung für millionenfachen Mord und millionenfaches Leid sei, impliziert er somit eine Erbschuld, an der alle heute und künftig lebenden Deutschen zu tragen hätten. Es lebt heute wohl kaum noch jemand, der aktiv an den Verbrechend er Nationalsozialisten mitgewirkt hat und somit Verantwortung trägt für das, was damals geschah. Doch selbst für diese Leute gäbe es nach christlicher Lehre dereinst eine Erlösung, auch wenn das schwer zu akzeptieren ist. Wer also ist Steinmeier, dass er sich zwischen die Menschen und Gott stellt, indem er ihnen die Erlösung verweigert? Ganz anders Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum selbigen Anlass am 8. Mai 1985: „Das Geheimnis der Erlösung heißt er Erinnerung. (…) Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persönlich.“
2. Steinmeier verschweigt das Leid der Deutschen. Gemäß der Lehrmeinung linker Deutschlandhasser sind wir ein Tätervolk und können daher a priori keine Opfer hervorgebracht haben. Ganz in diesem Sinne vermeidet der Bundespräsident in seiner Rede auch jede klare Auseinandersetzung mit dem Bombenterror der Alliierten sowie Flucht und Vertreibung von Millionen Deutschen aus Gebieten, die zuvor mit einem Federstrich anderen Staaten zugesprochen worden waren. Um diesen Aspekt des Krieges keinen Bogen zu machen, hätte eine wahrhaft große Rede zu diesem Thema ausgemacht. Das Oberhaupt eines freien, souveränen und allseits geachteten Deutschland, wie Steinmeier es ja mit Nachdruck beschwört, wäre in der Lage und Willens gewesen, auch der Opfer des eigenen Volkes angemessen zu gedenken. Dazu hätte natürlich gehört, deutlich zu machen, dass in Ost- und Mitteldeutschland auf die Diktatur der braunen jene der roten Sozialisten folgte. Deren durch friedliche Revolutionen bewirkter Zusammenbruch 1989 war für die Ostdeutschen in der Tat eine späte Erlösung von den Folgen des Zweiten Weltkrieges – in dieser Erfahrung vereint mit Polen, Balten, Tschechen und all den anderen Völkern, die Jahrzehnte unter der Knute der Kommunisten leben mussten.
3. Steinmeier missbraucht die Opfer der Nazigreuel als Druckmittel. Es profanisiert das Leid von Millionen Menschen und entbehrt auch nicht einer gewissen Infamie, wenn gesagt wird: „Wir müssen Europa zusammenhalten. Wir müssen als Europäer denken, fühlen und handeln. Wenn wir Europa (…) nicht zusammenhalten, dann erweisen wir uns des 8. Mai nicht als würdig. Wenn Europa scheitert, scheitert auch das ‘Nie wieder!’.“ Die Verknüpfung von Auschwitz mit Brüssel, die Unterstellung, dass ein Scheitern der EU, ja eigentlich schon die Kritik an ihr, eine Wiederholung dessen bedeuten würde, was am 8. Mai 1945 zu Ende ging, das ist an ideologischer Verstiegenheit kaum noch zu überbieten. Steinmeier baut hier einen moralischen Druck auf, der es per se unanständig erscheinen lassen soll, Europa anders zu denken und zu wollen als die herrschenden Eliten. Wohl nicht zufällig erinnert diese Aussage an die unselige Parole der Bundeskanzlerin, nämlich dass Europa scheitern würde, sollte der Euro scheitern.
4. Der Bundespräsident ist wieder einmal politisch einseitig und spaltet dadurch die Gesellschaft. Den Topos vom 8. Mai als Tag der Befreiung erweitert er in die Gegenwart, behauptet allen Ernstes die Notwendigkeit einer neuerlichen Befreiung von den „alten Geistern“, die heuer lediglich in anderen Gewändern daherkämen. Die Befreiung damals vollzog sich im Rahmen unvorstellbarer Gewalt auf beiden Seiten der Frontlinien. Soll die Befreiung von „Nationalismus, Hass und Hetze, von Fremdenfeindlichkeit und Demokratieverachtung“ auf gleiche Weise zuwege gebracht werden? Zumindest auf linker Seite wird man sich einmal mehr vergewissert sehen, dass im „Kampf gegen rechts“ alles erlaubt ist. Wenn Steinmeier dann auch noch die Amokläufe geistig verwirrter Einzeltäter in Hanau und Halle/Saale mit dem sorgfältig geplanten und industriemäßig durchgeführten Massenmord der Nationalsozialisten an den Juden in eins setzt, ist er endgültig bei einer sträflichen Relativierung des Holocaust angekommen. Nachgerade absurd scheint es fernerhin, wenn sich ein Politiker für die Bekämpfung von Hass und Hetze einsetzt, der an anderer Stelle gemeinsame Sache mit Linksextremisten der übelsten Sorte macht.
Hat Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede auch etwas richtig gesagt? Nun, wir dürfen Deutschland lieben – mit gebrochenem Herzen zwar aber immerhin. Daneben jedoch hat der Bundespräsident den großen Wurf verpasst, hat es versäumt, eine zeitgemäße und in die Zukunft ausgreifende Erinnerungskultur zu entwerfen, die den veränderten Gegebenheiten in Deutschland entspricht. Es bleibt dabei: Wer eine wirklich große, bewegende und mutige Rede zum 8. Mai 1945 hören will, der muss sich nach wie vor Richard von Weizsäcker zuwenden, auch nach 35 Jahren.
2 Kommentare zu „Bundespräsident Steinmeiers Rede zum 8. Mai – Eine Kritik“
Sehr treffend analysiert! Angeregt durch Ihren Beitrag habe ich mir die Rede Richard von Weizsäckers im Internet nochmal angeschaut und war tief ergriffen. Warum wurde am letzten 8. Mai nicht einfach ein Video von 1985 abgespielt, anstatt den den Bürgern das Gelaber von Steinmeier anzutun?
Steinmeier ist ein Getriebener des Teufels. Er wird eines Tages als eines der miesesten Bundespräsidenten eingehen, welches dieses Land je erlebt hat.